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Die sogenannten Wendewasserfälle
im St. John River in New-Brunswick/Canada
Abb.1 der St. John River mit seinen "Wendewasserfällen" (unten, links der Mitte) bei Ebbe,
aufgewirbelte Wasseroberfläche unterhalb der Engstellen (bei oberer stärker als bei unterer)
die beiden nach oben zeigenden weißen Schwaden sind Rauch aus Schornsteinen einer Zellulosefabrik, [1]
Inhalt
1. Veranlassung
2. Erklärung, kurz gefasst
3. Einzelheiten der Erklärung
3.1 Querschnitte
3.2 Längsschnitte
4. Literatur und Bildnachweise
5. Anmerkungen
Abb.2 eine unverständliche Literatur-Stelle über sogenannte Wendewasserfälle [2]
Der oben (Abb.2) stehenden Beschreibung begegnete ich bereits vor langer Zeit. Mein Versuch, sie u.a. mit Hilfe der damals angefertigten unten stehenden Skizze (Abb.3) zu verstehen, misslang. Ich war von der gängigen Vorstellung eines Wasserfalls ausgegangen, dass Wasser frei über eine Kante im Flusslauf herunter fällt. Wenn es bei Flut zurückfließt, müsste es über eine Gegenkante in den Fluß zurück fallen. Das gezeichnete mauerartige Hindernis hatte die beiden notwendigen Kanten und erzeugte die beiden Wasserfälle: vorwärts - rot gezeichnet, rückwärts - braun gezeichnet.
Der bergseitige Wasserpegel kann aber niemals unter der Oberkante des Hindernisses liegen, denn wohin sollte das Flußwasser verschwunden sein? Ein umgekehrter Wasserfall kann somit nicht zustande kommen. Meine damaligen Überlegungen führten zu keiner Erklärung, ich stellte sie ein.
Abb.3 meine vor 20 Jahren angefertigte Skizze, mit der
ich die Wendewasserfälle zu verstehen versuchte
Als ich meine Beschäftigung mit den Gezeitenkräften und Tiden jüngst wieder aufnahm, stieß ich selbstverständlich auch erneut auf die mysteriösen "Wendewasserfälle" im St. John River. Diesmal fand ich genügend, über [2] hinausgehende Literatur. Ein Teil davon ist online im Internet vorhanden, was meine persönliche Aufklärung relativ schnell ermöglichte.
2. Erklärung, kurz gefasst ↑ Anfang
In Kanada nennt man die fraglichen Objekte gemäß alter Tradition Reversing Falls, obwohl es sich in Wirklichkeit lediglich um Rapids (Stromschnellen), die bei Flut in der Fundybai auch rückwärts strömen können, handelt. Die irreführende Bezeichnung "Falls" wird zwar von Besuchern und einsichtigen Anwohnern zunehmend kritisiert, die passende Bezeichnung Reversing Rapids konnte sich aber bisher nicht durchsetzen [3].
Verursacher der Stromschnellen sind zwei, sich nur wenige Hundert Meter folgende Einengungen des Flußquerschnitts. Die erste (in normaler Flußrichtung obere) Stelle ist eine Untiefe über einem felsigen Sockel (Sill), die zweite ist eine horizontale Einschränkung zwischen felsigen Wänden (Gorge). Sie behindern den Wasserstrom: Vor ihnen staut sich das Wasser, und in ihnen fließt es - angetrieben vom entstandenem Gefälle - mit erhöhter Geschwindigkeit und aufgewirbelter Oberfläche über ein Gefälle von einigen Metern auf einigen hundert Metern Flußlauf nach unten. Der Lauf "nach unten" kann bei Flut in der wenige Kilometer entfernten Fundybai auch entgegengesetzt zum normalen Flußlauf gerichtet sein. Diese umgekehrten Stromschnellen haben ein etwas kleineres Gefälle und existieren auch kürzere Zeit innerhalb einer Tiden-Periode als die vorwärts gerichteten Schnellen. Im Frühjahr, wenn der St. John River durch Schmelzwasser stark anschwillt, reicht das Hochwasser der Flut nicht aus, um ein Gefälle gegen den Fluß zu erzeugen. Das Gefälle in normaler Flußrichtung ist dann bei Ebbe in der Bucht entsprechend höher, und die Stromschnellen sind entsprechend stärker.
3. Einzelheiten der Erklärung ↑ Anfang
3.1 Querschnitte ↑ Anfang
Abb.4 St. John River : Querschnitte der Engstellen Gorge und Sill, vertikaler Maßstab etwa 10-fach des horizontalen,
betroffener Teil ist in eigeschobener Flußkarte hervorgeboben,
Querschnitte und Pegel (außer von mir gewähltem Typical Water Level) nach [4]
Abb.4 enthält maßstäbliche Querschnitts-Zeichnungen der beiden Engstellen. Die eingezeichneten Wasser-Niveaus sind die folgenden:
- Die mittlere Dicke des am Sill überlaufenden Stroms beträgt bei typischer Wasserführung des St. John Rivers und bei Ebbe in der Fundybai etwa 5 Meter. Der Typical Water Level ist nur etwa 1 Meter höher als der zeitlich gemittelte Wasserstand unterhalb der Gorge (Anmerkung 1).
- Bei Frühlingshochwasser im Fluß ist der Wasserspiegel am Sill etwa 5 Meter höher: Record High Water Level.
- Der maximale Tiden-Hub (Spring-Tiden) unterhalb der Gorge beträgt etwa 9 Meter (Anmerkung 1).
Vergleichende Auswertung der Eintragungen in Abb.4 ergibt (maximaler Tiden-Hub):
- Typical Water Level : Es besteht wechselweise ein Gefälle (etwas größer in normaler Flußrichtung bei Ebbe als in Gegenrichtung bei Flut). Da der Fluß auch bei Flut Wasser heranführt, ist der in dieser Zeit resulierende Rückwärts-Wasserstrom kleiner als der Vorwärts-Wasserstrom bei Ebbe.
- Im Jahresmittel führt der Fluß mehr Wasser, sodass der Vorwärts-Wasserstrom nochmals überwiegender ist (mit größerem Gefälle, während längerer Zeit).
- Record High Water Level : Der Wasserspiegel vor der oberen Engstelle ist höher als nach der unteren bei mittlerer Spring-Flut. Ein Rückwärts-Wasserstrom kommt bei Spring-Flut nicht zustande.
3.2 Längsschnitte ↑ Anfang
Abb.5 typische Wasserführung im St. John River , Längsschnitt zwischen den Engstellen Sill und Gorge ,
Vorwärts- (grün, bei Ebbe) und Rückwärtsstrom (rot, bei Flut),
vertikaler Maßstab 10-fach des horizontalen
Abb.6 größte Wasserführung im St. John River , Längsschnitt zwischen den Engstellen Sill und Gorge ,
ausschließlich Vorwärtsstrom (sowohl bei Ebbe als auch bei Flut)
Die Längsschnitte in den Abbildungen 5 und 6 zeigen in etwa die Änderungen des Wasserniveaus zwischen den beiden Engstellen in den im Abschnitt 3.1 ausgewählten Situationen (Anmerkung 2). Sie sind einige 10 Meter vor und nach den Engstellen am größten. Das Wasser kommt aus breiteren Bereichen heraus und fließt in breitere Bereiche hinein, was in ihnen das Gefälle verringert. Auch zwischen den Engstellen befindet sich ein breites und tiefes Becken, das Gefälle ist aber meistens und während längerer Zeit in einer Tidenperiode hoch genug, dass in ihm über fast die ganze Länge das Wasser deutlich verwirbelt wird (Abb.1 u. 9). Stromschnellen sind oft dadurch gekennzeichnet, dass feste oder lose Einzelhindernisse über die Wasseroberfläche ragen. In den Reversing Falls gibt es nur an den Rändern einige wenige, von denen der linksufrige Split Rock am Ausgang der Gorge der markanteste ist (Abb.n 7 u. 8). Er wird bei fortschreitender Ebbe am Ufer nicht mehr umflossen. Bei fortschreitender Flut verschwindet er im Rückwärtsstrom.
Abb.7 linksufriger Split Rock am Ausgang der Gorge , Vorwärtsstrom bei Ebbe, [5]
Abb.8 Rückwärtsstrom bei Flut, [6]
4. Literatur und Bildnachweise ↑ Anfang
[1] Google Maps: "Reversing Falls"
[2] Günther Sager: "Mensch und Gezeiten", VEB Herrmann Hack, Gotha, 1987, Seite 18
[3] CTV Atlantic: "Tourists confused by iconic Reversing Falls", 9. Juli, 2012
[4] Con Desplanque, David J. Mossman: "Tides and their seminal impact on the geology, geography, history and
socio-economics of the Bay of Fundy, eastern Canada ", Fig. 40 and 41
[5] beyondships3.com: /8/2/4/5/8245255/_7345076.jpg
[6] media-cdn.tripadvisor.com: /media/photo-s/06/66/8e/e5/reversing-falls.jpg
[7] Vincent Leys: ''3D Flow and Sediment Transport Modelling at the Reversing Falls – Saint John Harbour,
New Brunswick'', in: ''Oceans 2007'' Seiten 1–16, Zusammenfassung
[8] 2.bp.blogspot.com: The+Three+Sisters.jpg
Anmerkung 1 ↑ zurück
Die zwischen der Gorge und dem direkt an der Fundybay liegenden St. John Harbour (Distanz etwa 2 km) sich einstellenden kleinen Pegelunterschiede werden vernachlässigt.
Anmerkung 2 ↑ zurück
Die höchsten (bei Flut) und niedrigsten (bei Ebbe) Wasserstände oberhalb und unterhalb der Reversing Falls sind vereinfachenderweise so gezeichnet, als würden sie gleichzeitig auftreten. In Wirklichkeit sind sie gegeneinander zeitlich geringfügig verschoben. Als typischer Tidenhub oberhalb der Reversing Falls wird etwa ½ Meter angegeben [7], was ich für die Betrachtungen bei Spring-Tiden verdoppelt habe.
Abb.9 obere Engstelle (Reversing Falls Sill ), Rückwärtsstrom bei Flut, [8]
Siegfried Wetzel, CH 3400 Burgdorf, Oktober 2014
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