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Polstab und Äquatorbogen (Vortrag)

Manuskript eines Vortrages auf der Jahrestagung der Arbeitsgruppe Sonnenuhren
im Österreichischen Astronomische Verein, Schlögen, September 2015
siehe auch: Polstab und Äquatorbogen

Im Folgenden werden die beim Vortrag verwendeten Bildtafeln gezeigt. Mit den darin enthaltenen Stichworten sind je darunter stehende Langtext-Abschnitte gebildet, in etwa wie bein Vortrag.

Am Ende ist ein sich aus der Diskussion ergebender Nachtrag angefügt.

Vortrag

Der Polstab verbessert die Anzeige der Stunde, wobei auf die Anzeige der Deklination (Halbjahrestag) verzichtet wird. Im Unterschied zur Abbildung der Sonne als Schattenpunkt mittels schattenwerfendem Punkt (Nonius) ist die mittel Polstab erzeugte linienförmige Abbildung der Sonne ("Verwischen des Punktes" zu einer Linie) schneller und sicherer erkenn- und ablesbar.
Gibt es einen Schattenwerfer, mit dem nur die Deklination (Halbjahrestag ), dafür schneller und sicherer erkenn- und ablesbar ist?

Stellen Sie sich bitte diese Darstellung des Sonnenstandes als die Hälfte der Himmelsphäre, die Sie von innen betrachten, vor. Der Blick geht nach Osten. Die Sonne steigt von dort aus nach schräg rechts, d.h. nach Süden hoch. Zur Kennzeichnung des zeitveränderlichen Sonnenstands sind die Liniennetze von zwei verschiedenen Koordinatensystemen eingezeichnet. Für Sonnenuhren interessiert das äquatoriale System: Meridiankreis-Stücke fü den Stundenwinkel (nicht primär die im Bild gezeichneten analemmaförmige Linien, die für die als wahre Ortszeit bezeichete gemittelte Sonnenzeit gebraucht werden) und Parallelkreis-Stücke zwischen Ost und Wes für den Deklinationswinkel, der den Halbjahrestag angibt).

Anmerkung zur Verwendung des Begriffs Halbjahrestag: Zu jedem Deklinationswinkel gehören 2 Kalendertage eines Jahres. Mit dem Deklinationswinkel ist der Kalendertag nur innerhalb der bekannten Jahreshälfte (Teilungen an den Sonnenwend-Tagen) eindeutig bestimmt.

Weil sich an der Himmelssphäre kein Liniennetz anbringen lässt, muss die Sonne auf die Erde "heruntergeholt", d.h. auf ein Zifferblatt mit eingezeichnetem Liniennetz abgebildet werden. Die Zifferblattschale der gezeigten Sonnenuhr ist - wie teilweise in der Antike - der Himmelssphäre spiegelgleich ausgeführt. Eine solche Skaphe ist höchst anschaulich, weil sie nicht nur irgend eine Abbildung des Himmels und der Sonne, sondern ein kleines Modell von diesen ist.
Der kleine von der Schatten-werfenden Kugel erzeugte Bildpunkt der Sonne ist relativ unauffällig, aus seiner Lage ist aber sowohl die Stunde als auch der Halbjahrestag (in grober Näherung und mithilfe genügend vieler Deklinationskreise) ablesbar.

Anstatt einer aufwändigen Zifferblattschale wird heute meistens ein einfaches ebenes Zifferblatt verwendet. Auf z.B. dieser ebenen Wandsonnenuhr wird die Sonne ebenfalls mit einer Schatten-werfenden Kugel abgebildet. Den Kreisstücken des Liniennetzes auf der shpärichen Fläche entsprechen hier die (dunklen) geraden Stundenlinien und die hyperbelförmigen Halbjahrestagslinien.

Diese Wandsonnenuhr (Bild links) bildet die Sonne mithilfe eines Polstabs als mit den Stundenlinien des Zifferblatts korrespondierende gerade Linie ab. Der Halbjahrestag wird zugunsten der schnellen und sicheren Ablesbarkeit der Stunde nicht angezeigt.
Nebenbemerkung (Bild rechts): Die um einen Punkt (Fußpunkt des Polstabs) kreisende Schattenlinie war Vorbild für den Uhrzeiger (Drehsinn wie bei einer Horizontalsonnenuhr).

Zu einer bestimmten Tagesstunde ist die Sonne an jedem Tag in derselben Stundenebene. Alle Stundenebenen schneiden sich in der Himmelsachse. Ein Stab in Himmelsachse (bzw. in naher Parallele) ist geeignet, alle Stundenebenen und damit alle Sonnenpositionen mit gleichem Stundenwinkel unterscheidbar und deutlich abzubilden, nicht aber die Sonnenposition innerhalb einer Stundenebene. Gibt es eine Schattenwerfer-Form, mit der das Umgekehrte möglich ist? Die Halbjahrestage werden unterschiedlich und deutlich, nicht aber die Tagesstunden angezeigt.

Die Abbildung der Sonne als Schattenpunkt oder als Schattenlinie (zur Linie verwischter Punkt) nenne ich zweidimensional bzw. eindimensional. Gemeint ist nicht die geometrische Eigenschaft des Schattens sondern die darin enthaltene Information über den Sonnenstand. Der Punkt enthält Information sowohl über den Stunden- als auch über den Deklinationswinkel der Sonne. Die Linie gibt nur über einen der beiden Winkel Auskunft: beim Schatten des Polstabs ist es der Stundenwinkel.

In den Bildern (vorstehende und nachfolgende Bildtafel) ist der Sachverhalt unter Verwendung von kartesischen Koordinaten grundsätzlich dargestellt. Die sphärischen Winkel-Koordinaten der Sonne erfordern räumliche Überlegungen, auf die zunächst verzichtet werden kann.

a: Punkt-Information, 2-dimensional, neben x-Wert (Stundenwinkel, Tagesstunde) ist auch y-Wert (Deklination, Halbjahrestag) ablesbar.

b: Linien-Information, 1-dimensional, y–Wert (Halbjahrestag) ist verwischt, x-Wert (Stunde) dafür schnell u. sicher erkennbar.

c: Linien-Information, 1-dimensional, mehrere y–Werte (Halbjahrestage) bei gleichem x (Deklination, Halbjahrestag) nicht mehr angezeigt (verwischt, Verzicht).

d: Linien-Information, 1-dimensional, zwei Linien kennzeichnen zwei unterschiedliche x-Werte (Stunden); in beiden werden y-Werte (Halbjahrestage) nicht mehr angezeigt (verwischt, Verzicht).

Die prinzipielle Lösung der gestellten Aufgabe:
Umkehr der Koordinaten, Linien-Information, 1-dimensional, x-Werte (Stunden) verwischt (Verzicht); y-Werte (Halbjahrestage) schnell u. sicher erkennbar.

An einem bestimmten Halbjahrestag ist die Sonne (annähernd) zu jeder Tagesstunde auf derselben Deklinations-Kegelfläche (rot im rechten Bild). Alle Deklinations - (Halbjahrestags-) -Kegelflächen haben nur einen gemeinsamen Punkt: ihre Spitze (Mittelpunkt von Erde und Himmelssphäre). Damit sind wir wieder beim Nodus. Zu finden ist aber ein ausgedehnter Schattenwerfer, der einen ausgedehnten, schnell und sicher erkennbaren Schatten wirft.

Es gibt einen Ausweg:
Im gegenüber dem linken Bild etwa mit dem Faktor 109 vergrößerten rechten Bild (Ausschnitt mit MP) sind alle Kegelflächen gegeneinander auf ihrer Achse so verschoben, dass sie sich in einem gemeinsamen Kreis schneiden. Bezogen auf die Größe einer Sonnenuhr im Verhältnis zur Größe der Himmelssphäre (Radius = Abstand von der Erde zur Sonne) ist das Benutzen eines einige Zentimeter entfernten parallelen Sonnenstrahls (vgl. rot gezeichnete Strahlen in beiden Bildern) eine äußerst vernachlässigbare Ungenauigkeit. Dieser im Bild bereits als Schatten-Ring bezeichnete äquatoriale Ring ist für unseren Zweck geeignet.

Im Modell eines Sonnen-Kalenders ist ein Stück des äquatorialen Rings über einer die Himmelsachse enthaltenden Ebene (polare Ebene) errichtet (Äquatorbogen, Radius ≈ 10 cm, Bild rechts).

Der Äquatorring wirft an einem bestimmten Halbjahrestag annähernd unabhängig von der Tageszeit eine die Himmelsachse immer an derselben Stelle schneidende Schattenlinie. Der Schnittpunkt wandert übers Halbjahr auf der Himmelsachse hin bzw. zurück. Diese ist mit dem Deklinationswinkel (rechtes Bild) oder dem Halbjahrestag skalierbar.
Die Information (Deklinationswinkel, Halbjahrestag) ist nur ein Punkt der auf dem Zifferblatt erscheinenden Schattenlinie. Diese führt aber deutlich zum Punkt hin, was die schnelle und sichere Ablesbarkeit ermöglicht.

Das prinzipiell nicht nötige, aber das Ablesen verbessernde Zifferblatt (prinzipiell könnte sich die Skala auf einem polaren Stab befinden) darf auch zweiteilig sein (Bild rechts). Die geknickte Ausführung ermöglicht, dass auch die frühe Morgen- und die späte Abendsonne auf Zifferblatt und Skala fallen.

Auf der Halde Hoheward wurden sowohl ein sehr großer Äquatorbogen (Radius ≈ 44 Meter) und ein weniger hoher Obelisk errichtet. Könnte dieser Äquatorbogen zu einem Sonnen-Kalender ergänzt werden? Das Errichten eines polaren Stabes mit Deklinations-/Halbjahrestags-Skala ist denkbar. Es entstünde bereits ein im Winterhalbjahr (sonst Erdarbeiten für den Südteil des Polstabes) genügendes Instrument, denn bei einer solchen Größe ist der Schatten auf dem Polstab schnell und sicher genug erkennbar. Auszuschließen ist hingegen der Ersatz der horizontalen Grundfläche durch eine polare Ebene mit Böschungswinkel > 51°. Eine solche wäre nicht aufschütt- und nicht begehbar.

Der Obelisk trägt in etwa 10 Meter Höhe eine Kugel als Nodus für eine Bodensonnenuhr. Sein Vorbild, der Obelisk des Kaisers Augustus auf dem Masrsfeld im alten Rom, war mit etwa 30 Metern zu hoch, um Teil einer Sonnenuhr gewesen zu sein. Vermutlich war dieses Solarium Augusti ein Meridianmessinstrument, das im Moment des Mittags auf einer Süd-Nord-gerichteten Skala u.a. das Halbjahresdatum anzeigte. Den Bau eines ähnlich hohen und ähnlich großen Äquatorbogen wie auf Hoheward und eine zugehörige polare Skala beherrschte man damals noch nicht (und musste auf die während eines ganzen Tages funktionierende Anzeige verzichten).

Anmerkung: Der Äquatorbogen auf der Halde Hoheward war offensichtlich auch für die heutige Bautechnik eine Nummer zu groß. Wegen Rissen im Stahlrohr wurden ihm bald nach seinem Aufrichten (Dez.08) zwei Stützen zugefügt, was aber bis heute (Okt.15) nicht dazu geführt hat, dass der Zugang zum Platz unter ihm wieder frei gegeben wurde.

Die vor etwa 300 Jahren in Indien gebauten äquatorialen Sonnenuhren Samrat Jantar sind kleiner und haben wegen der größeren Nähe zum Äquator einen weniger steilen (gemauerten) Polstab (sogar zwei, nämlich die Treppengeländer, verwendet als Schattenwerfer).

Ich halte es für möglich, dass man damals schon in der Lage gwesen wäre, eine solche Sonnenuhr mit einem Äquatorbogen, wie in meiner Fotomontage angedeutet, zu ergänzen. Auf der polaren Treppe wäre noch eine Halbjahrestags-Skala anzubringen gewesen.

Ein Äquatorbogen begegnete mir bisher nur einmal: als ein Zusatz in einer polaren analemmatischen Sonnenuhr von Hans Kolar (Gablitz/Österreich). Er wird hier Deklinationskompensator genannt und ermöglicht das Einstellen (Verschieben) des Schattenwerfers auf seine von der Sonnendeklination abhängige Position, ohne dass diese bekannt sein muss. Die Einheit Schattenwerfer+Äquatorbogen wird derart verschoben, dass die Deklinations-abhängige Schattenlinie des Bogens auf eine fixe Marke (Kompenstionsmarke) fällt. Die Einstellung kann zu einem beliebigen Zeitpunkt während des Tages vorgenommen werden.

Nachtrag

Ein Zuhörer erinnerte sich daran, einen Äquatorbogen schon einmal in einem alten Buch gesehen zu haben, machte in der dem Vortrag anschließenden Diskussion darauf aufmerksam und nannte mehrere in Frage kommende Quellen. Nach einigem Suchen fand ich das vermutlich gemeinte Buch mit einer entsprechenden Abbildung. Sie befindet sich auf Seite 438 in "Illustrierte Himmelskunde" von J. Riem, Peter J. Oestergard GmbH, Berlin 1911.

Der Text beginnt unter dem eingefügten Strich, enthält aber nichts über den der Sonnenuhr zugefügten Äquatorbogen. Dieser ist als Rand einer auf dem zylindrischen Träger der Sonnenuhr (Zifferblatt und Schatten-werfender Faden) befestigten Scheibe erkennbar. Auf dem Zylindermantel und durch den Scheibenmittelpunkt erstreckt sich die Deklinations-/Halbjahrestags-Skala.

Die Sonnenuhr wird durch Verdrehen gegen das Stativ auf die geographische Breite (Werte auf Kreisring-Skala) eingestellt. Bei einer bestimmten (mittleren) Breite ist das Stunden-Zifferblatt in horizontaler Lage.

LogoSW Siegfried Wetzel, CH 3400 Burgdorf, Oktober 2015 (Apr. 22)

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