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Gedanken zur Türklinke

Zusammenfassung

Die umgangssprachliche Begriff Türklinke für den Fachbegriff Türdrücker erinnert an die alte, noch an Gartentüren u.ä. verwendete Bauweise der Türzuhaltung mittels eines in einen Haken einfallenden flachen (Klinke) Hebels.

Mit einem Türdrücker wird i.d.R. kein Klinkenhebel mehr gedreht, sondern ein (beim Schließen selbsttätig einschnappender) Riegel verschoben.

Der Türdrücker besteht aus einem parallel zum Türblatt liegenden Handgriff und einem von diesem abknickenden, ins Türschloss (Kasten- oder Einsteckschloss) hineinführenden Dorn, über den der Drücker auf den Riegel im Schloss einwirkt.

Beide Drückerteile bilden zusammen einen Winkelhebel. Der Ingenieur und Philosoph Ludwig Wittgenstein verwendete Ende der 1920er Jahre dessen einfachste Ausführung in Form eines abgebogenen Rundeisens als Türdrücker.

Die Form des als Handgriff dienenden Winkel-Teils spielt in den meisten der je hergestellten Türdrücker nur eine untergeordnete Rolle. Es hatte sich unausgesprochen bald herausgestellt, dass die Hand diesbezüglich keine besonderen Ansprüche stellt, dass sie "universal ist" [2]. Die Griffe der unzähligen "Universaldrücker"-Ausführungen sind fast ausschließlich fürs Auge gestaltet, sie unterscheiden sich in der Vielzahl angewendeter organischer (natürlicher, selten "händischer") und geometrischer (mathematischer) Formen.

Die wenigen Exemplare, die mehr oder weniger auf das Greifen mit der Hand Rücksicht nehmen, nennt man "Handformgriffe" [2]. Die einschlägigen Gestaltungs-Gebote waren seit langem bekannt, wurden aber erst vor etwa 30 Jahren aufgeschrieben [2]. Verbunden damit war der bisher leider kaum gehörte Apell, diese so weit wie nötig wieder zu beachten, d.h. "moderate Handformen" zu entwerfen. Meine Überlegungen haben Universaltürdrücker mit zylindrischem Griff und auch sonst mit nur einfachsten geometrischen Elementen zum Ziel, die dennoch Drücker mit "moderaten Handformen" sind.

Inhalt

1. Türklinke (-falle) - Türdrücker - Türgriff
2. Die Uniformität des Türdrückers
3. "Die vier Gebote des Greifens" und ihre Missachtung am Universaltürgriff
4. "Die vier Gebote des Greifens" und ihre moderate Beachtung am Türdrücker mit rundem Griffquerschnitt
5. Enwürfe von Türdrückern mit rundem Griffquerschnitt
6. Literatur
7. Anmerkungen

1. Türklinke (-falle) - Türdrücker - Türgriff

Die Hersteller sprechen vom Türdrücker und bezeichnen diesen Gegenstand damit genauer als es umgangssprachlich mit Türklinke (verkürzt Klinke) geschieht. Die Klinke oder Falle klinkt bzw. fällt hinter einen Haken ein, mit dem sie eine formschlüssige Verbindung bildet, die wiederum das Zuhalten der geschlossenen Tür (Anmerkung 1) ermöglicht. Im einfachsten Fall ist die Klinke ein Teilbereich der Kante eines flachen, meist metallischen Hebels (Abb.1). An einem Ende ist der Hebel drehbar mit der Tür verbunden, am anderen Ende wird er zum Öffnen und Schließen gegriffen. Solche einfachen Türverschlüsse kommen heute nur noch in untergeordneten Fällen (z.B. an Garten-, Stall- und ähnlichen Türen) vor. Der Haken am Türrahmen hat inzwischen meistens eine schräge Vorderkante, auf der die Klinke beim Zustoßen der Tür aufläuft, selbsttätig gehoben wird und anschließend in den Haken fällt. Eine häufige Variante des Klinkenhebels ist seine Erweiterung zum zweiseitigen Hebel, der beim Öffnen und Schließen am der Klinke gegenüberliegenden Hebelteil gegriffen wird. Da die Griffseite beim Schließen nicht gemeinsam mit der Klinke in den Haken fällt bzw. gesenkt wird, sondern sich nach oben bewegt oder gehoben wird, nennt man diese Ausführung eine hebende Falle (Abb.2, Anmerkung 2).

Abb.1  Türfalle in annähernd ursprünglicher Ausführung
           (separater Handhebel rechts der Mitte anstatt Griff am rechten Ende)
Abb.2  "hebende Falle" an einem "Kastenschloss", Türdrücker als zweiter Hebelteil,
           zusätzl. je ein mit der Hand unterer bzw. einem Schlüssel schiebbarer oberer Riegel
Abb.3  Türschloss ("Steckschloss") in rechts erkennbarer Haustür, links das davor gehaltene, am Türrahmen
           anzuschraubende Lochblech mit darin eingeschnapptem Riegel (schießende Falle),
           Schließbewegung der Türe: von hinten nach vorne

Unter Türdrücker wird heute ein der Klinke (oder der schießenden Falle, s. unten) gegenüberliegender und von dieser trennbarer Hebelteil verstanden. Seine drehbare Lagerung und die Verbindung mit dem zweiten, auf der Gegenseite der Tür befindlichen Drücker und mit der Klinke erfolgt im an der Tür angebrachten ("Kastenschloss") oder im eingeschobenen ("Steckschloss") Türschloss. Der Drücker besteht im Wesentlichen aus einem in der Hebelachse drehenden und aus dem Türschloss herausragenden Wellenstück (Drücker-Stift, -Hals oder -Dorn), das zum eigentlichen Hebelteil abgeknickt ist. Letzteres (der Türgriff oder die Handhabe) ist zum Türblatt parallel.
Anstatt der Klinke wird heute meistens ein schiebbarer Riegel ("schießende Falle") verwendet. Er ist an seiner Spitze angeschrägt und schnappt bei zufallender Türe selbsttätig in das Lochblech am Türrahmen ein (analog zur in den Haken fallenden Klinke, Abb.3, Anmerkung 3).
Weil die Klinke weitestgehend verschwand, war ein umgangssprachlicher Bedeutungswandel möglich. Der Begriff Klinke ist heute die umgangssprachliche Bezeichnung für den Türdrücker, der den Schnappriegel verschiebt (Anmerkung 4).

2. Die Uniformität des Türdrückers

Von Geboten über eine greifgerechte Formgebung des Türgriffs wurde sporadisch, unvollständig und oftmals verschwommen mindestens seit dem Beginn der seriellen Herstellung in den 1920er Jahren gesprochen. Des Öfteren wurden und werden bis heute bestimmte Exemplare mit Handlichkeit u.ä. einschlägigen Gebrauchs-Qualitäten angepriesen. In extremen Einzelfällen ist die Handform, d.h. ihre am Griff vorhandene Gegenform angestrebt. "Handformgriffe" waren und sind gegenüber den "Universalgriffen" aber stets in der Minderheit (Anmerkung 5).

Der Teilbegriff "Universal" kann so verstanden werden, dass sich diese Griffe universell bedienen lassen: mit der Hand, mit ein paar Fingern, mit dem kleinen Finger, mit dem Ellenbogen, mit der anderen (der "linken") Hand usw. Tatsache ist auch, dass in diesen mit der Zeit entstandenen immens vielen Türdrücker-Varianten trotz der jeweils anderen "Design-Kunst-Form" eine gewisse "Basis-Uniformität" steckt, nämlich schlicht ein zweiarmiger Haken, den in reinster Form aus Rundeisen gebogen der Ingenieur-Philosoph Ludwig Wittgenstein 1928 als Türdrücker benutzte.

Sie lassen sich alle mehr oder weniger ausreichend gut gebrauchen, denn "die menschliche Hand ist so perfekt gebaut, dass sie sich allen erdenkbaren Griffarten ... ausgezeichnet anpassen kann" [2, Abschnitt: Des Kaisers neue Schrauben]. Andererseits ist die Bedienung des Türgriffs ziemlich anspruchslos, er ist lediglich niederzudrücken und horizontal mit dem Türblatt wegzuziehen oder wegzuschieben. Bei Werkzeuggriffen ist das anders. Über sie sind komplexe Bewegungen und Kräfte von der Hand ins Werkzeug einzuleiten. Sie werden nicht wie Türgriffe gelegentlich, sondern mitunter stundenlang in der Hand gehalten und im Raum bewegt (z.B. die Schere des Friseurs und das Messer des Fleischers). Selbst die Zahnbürste hat meistens einen anspruchsvoller gestalteten Griff, damit sie bequem sowohl vor, auf, als auch hinter den sowohl unteren als auch oberen Zähnen mit entsprechender Krafteinleitung bewegt werden kann.

Somit ist nicht verwunderlich, dass fast alle auf dem Markt agierenden Türdrückerhersteller "Universalgriffe" bevorzugen. Die unzählbare Vielfalt angebotener Drücker besteht vorwiegend in der optischen Erscheinung. Gleich wie bei anderen Gebrauchsgegenständen wird diese unermüdlich erweitert: Dem Auge (die greifende Hand bleibt mehr oder weniger unbeachtet) wird laufend etwas "Neues" geboten.

3. "Die vier Gebote des Greifens" und ihre Missachtung am "Universaltürgriff"

Gegen den Trend, die Hand am Türdrücker gewisse Übel ertragen (entspricht der Bedeutung des englischen sustainable, die in seiner deutschen Version nachhaltig leider verloren gegangen ist) zu lassen, richteten sich vor etwa 30 Jahren die Gestalter Otl Aicher und Robert Kuhn. Der Türgriff sollte die Hand künftig wieder mehr an der "Erfahrung der Welt" teilnehmen lassen, indem er wieder eine "moderate Handform" besitzt. Zu diesem Zweck nahmen sie die bekannten, bisher nur nicht aufgeschriebenen und überwiegend missachteten vier Gebote des Greifens am Beispiel Türgriff in ihre Abhandlung vom "Greifen und Griffe" [2] auf (Abb.4).

Auch in anderen Essays äußerte sich der als Gestalter von vorwiegend Unternehmens-Erscheinungsbildern (Corporate Design) tätige Otl Aicher über das dem "Zeitgeist verpflichtete schönmacherische Design" an Gegenständen des Gebrauchs, unter anderem am Türdrücker, den "mit großen Namen" verbundenen Gropius-Drücker aus der Zeit des Anfangs in den 1920er Jahren eingeschlossen [1: "der nicht mehr brauchbare gebrauchsgegenstand"].

Abb.4  Skizze zu den "vier Geboten des Greifens" [2]


1. Daumenbremse

Zitat: Der Daumen sucht stets eine Richtung. ... Viele Gegenstände des Greifens haben eine ausgesprochene Daumenorientierung.
Ohne Daumenbremse wird die suchende Hand erst aufgehalten, wenn der Zeigefinger an den Drücker-Dorn stößt (s. 2. Gebot). Der Daumen bleibt "auf verlorenem Posten hängen" (Abb.5) oder findet nur irgend einen, oft unangenehmen Halt (Abb.6).

2. Zeigefingerkuhle

Zitat: Auch der Zeigefinger ist immer auf Richtungssuche. Der Lotse der Hand tastet sich suchend vor, läßt die übrigen Finger nachkommen. ...
Eine Zeigefingerkuhle kann eine für den Daumen ersetzen und umgekehrt. Sie könnte wenigstens das unangenehme seitliche Stoßen des Fingers an den Drückerdorn verhindern. Der Zeigefinger findet die ihm zukommende Aufgabe und eine Stellung, die das Greifen allgemein angenehmer machen würde. Bei vorhandener Zeigefingerkuhle wäre zwar keine Bremse (-kuhle oder -mulde) für den Daumen erforderlich, aber dennoch eine Auflagefläche, damit dieser nicht "herumhängen" muss.

3. Ballenstütze

Zitat: Die Hand als Einheit verlangt "eine Stütze". Daumen und Zeigefinger sondieren den Raum. Dann faßt die Hand als Ganzes zu. Der Handballen will dabei gestützt werden. Nur so kann die Kraft aufgebracht werden.
Die Ballenstütze soll eine möglichst ebene und große Auflagefläche für den Handballen sein. Heutige Griffe bieten oft nur ein Minimum davon: Sie haben meistens nur einen kleinen (anstatt eines größeres) zylindrischen oder sogar einen hochgestellten (anstatt eines quergestellten) ovalen, elliptischen oder rechteckigen Querschnitt.

4. Greifvolumen

Zitat: Den Griff ins Leere schätzt die Hand nicht. Sie will ballig geführt werden. Greifvolumen ist notwendig. ...
Der Griff soll einen minimalen Umfang nicht unterschreiten, damit die ganze Handfläche aufliegt. Beim häufig zu kleinen Griffquerschnitt stoßen die Fingerspitzen vorher schon gegen den Handballen, bevor die Hand vollständig greifen kann.

Greifversuche an einem Universaldrücker

Abb.5  Halt suchender Daumen und an Drücker-Dorn seitlich stoßender Zeigefinger
Abb.6  an spitzer Drücker-Ecke unangenehmen Halt findender Daumen,
           wobei der Zeigefinger gegenhält und permanent seitlich gedrückt wird

4. "Die vier Gebote des Greifens" und ihre moderate Beachtung am Türdrücker
mit rundem Griffquerschnitt

Nach meiner Tätigkeit als Entwicklungs- und Konstruktionsingenieur von Maschinen und Geräten begann ich mich auch für die Gestaltung von Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens zu interessieren. Auf die Türklinke zu stoßen (oder gestoßen zu werden), lag nahe und erfolgte durch den Bericht über einen vom Hersteller FSB (Franz Schneider, Brakel) veranstalteten Workshop [1]. Als noch schüchterner Laie hatte ich selbstverständlich Respekt vor den im Rahmen dieser Veranstaltung entstandenen Entwürfen, spürte aber auch Mängel (Anmerkung 6). In starker Erinnerung ist mir die damals festgestellte Missachtung des Daumens geblieben, woraufhin ich etwa zwei Jahrzehnte lang unausgegorene eigene Vorstellungen, wie das zu vermeiden sein könnte, im Kopf hatte (Abb.7). Eine Verbesserung sollte mithilfe geringer Eingriffe sogar an Griffen mit vorzugsweise stereometrischen Grundformen (Kreiszylinder, Quader u.ä.) möglich sein. Heuer begann ich diesen Vorstellungen endlich konkreter nachzugehen und auch weitere einschlägige Literatur (Anmerkung 7) zu lesen.

Abb.7  Daumenbremse an einem Türdrücker,
           Skizze aus den 1990-er Jahren

Gebot Daumenbremse

Einen ersten Greif-Versuch machte ich an einem aus Wachskerzen zusammen gesetzten Drücker-Modell, in dessen Griffteil ich eine als Daumenbremse dienende Vertiefung mit einer erhitzten Stahlkugel eingedrückt hatte (Abb.n 8 u. 9). Der oben gezeigten, vom Türblatt wegweisenden Nase am Griff ging ich u.a. deshalb nicht weiter nach, weil die aufgehende Türe damit ein Loch in die Wand stoßen könnte. Stattdessen verlängerte ich den Griff etwas über den Dorn hinausreichend.

Abb.8  Türdrücker-Modell aus zwei Wachskerzen mit Daumenmulde
Abb.9  in der Daumenmulde gebremster und Auflage findender Daumen (Zeigefinger nicht an den Dorn stoßend)

Zum Ausprobieren an einer Türe brachte ich am in den Abb.n 5 u. 6 gezeigten Türdrücker ein eine Mulde bildendes Blech an (Abb.n 10 u. 11). Mit dieser provisorischen Daumenmulde ließ sich der Drücker nun angenehm gebrauchen.


   Abb.n 10 u. 11
   Türklinke einer Schuppentüre (aufgesetztes "Kasten-
   Schloss"), versuchsweise aufmontierte Daumenmulde

Gebot Zeigefingerkuhle

Bei vorhandener Daumenbremse stößt der Zeigefinger nicht mehr an den Drückerdorn (Abb.n 9 u. 10). Eine Zeigefingerkuhle könnte sich erübrigen, wenn sicher wäre, dass die Daumenmulde immer intuitiv gefunden und somit benutzt wird (Anmerkung 8). Sicher ist aber, dass sich eine Zeigefingerkuhle ohne weiteres in einem zylindrischen Griff anbringen lässt.

Ihr möglicher Nutzen ist unabhängig von der Querschnittsform und der-abmessung des Griffs und unabhängig davon, ob sich der Querschnitt über die Länge ändert (Beispiel in Abb.12) oder nicht (Beispiel in Abb.13). Sie sollte sich auf der dem Türblatt zugewandten Seite befinden, nicht unten (Abb.13), wo nur die Fingerspitze eingreifen kann.

Abb.12  Drückergriff mit Zeigefingerkuhle hinten, FSB/Potente
Abb.13  Drückergriff mit Zeigefingerkuhle unten, FSB/Rams

Auch für meinen diesbezüglichen ersten Greifversuch benutzte ich ein Türdrücker-Modell aus Wachskerzen
(Abb.n 14 u. 15).

Abb.14  Türdrücker-Modell aus zwei Wachskerzen mit Zeigefingerkuhle
Abb.15  in der Zeigefingermulde ruhender Zeigefinger (auf glatter Griffpartie ruhender Daumen)

Dabei erübrigte sich die Daumenmulde (ich lies den Daumen auf glatter Griffpartie ruhen). Das Gebot Daumenbremse sollte m.E. zu Daumenbremse und Daumenauflage erweitert werden, denn der Daumen soll nicht nur die Bewegung der Hand gegebenenfalls aufhalten (bremsen). Er hat als höchst entwickelter Finger geradezu Anspruch darauf, dass er wenigstens am Griff anliegen darf. Somit bleibt das Teil-Gebot Daumenauflage bestehen, wenn die Bewegung der Hand mittels einer Zeigefingerkuhle aufgehalten wird. Umgekehrt: das Gebot Zeigefingerkuhle muss nicht zwingend befolgt werden, wenn eine Daumenbremse vorhanden ist.

Zum Ausprobieren an einer Türe fand ich keine Klinke, die sich entsprechend verändern ließ (Zeigefingerkuhle aus einem zylindrischen Griff herausarbeiten). Ich stellte ein Funktionsmuster aus Hartholz, das einerseits fest genug ist und sich andererseits ohne Benutzung einer mechanischen Werkstatt bearbeiten lässt, her. Damit ließ sich nun der angenehme und nützliche Gebrauch der Zeigefingerkuhle erfahren (s.u.: Entwurf #1, Abb.n 16 bis 18).

Gebote Ballenstütze und Greifvolumen

Ein Rundstab, mit nicht weniger als 22 Millimeter Durchmesser - wie vermutlich die Griffpartie des originalen Gropius-Drückers (und zufällig wie die von mir probeweise benutzten Wachskerzen) - stellt für die mäßig große Drückkraft nach dem an meinen Modellen und Funktionsmustern erlebten Gefühl eine genügende, nicht zu schmale und nicht zu kantige (wie an vielen Türdrückern mit schmalem, hochkant verwendetem Stabprofil) Ballenstütze dar. Im Unterschied zu vielen handelsüblichen Drückern sollte der Griffteil nicht kürzer als die Hand breit sein, damit der Handballen nicht über dessen freies Ende hinausreicht.

Der 22 Millimeter oder mehr dicke Rundstab besitzt nach meinem Gefühl auch das für die Hand erforderliche angenehme minimale Greifvolumen.

5. Entwürfe von Türdrückern mit rundem Griffquerschnitt

Im Folgenden zeige ich einige Entwürfe von Türdrückern in maßstäblichen Zeichnungen. Von fast allen fertigte ich ein Funktionsmuster an.

In allen Entwürfen bin ich ohne Daumenmulde ausgekommen. Die Hand wird entweder von einer Zeigerfingerkuhle oder von einer wenig konvexen Dornseite gestoppt (der Dorn wirkt generell als sicherster Stopp). Der zylindrische Griff ist aber immer lang genug, dass der Daumen in Längsrichtung des Griffs aufliegen kann.

Entwurf #1

Abb.16  Entwurf #1
             Entwurf mit zylindrischem Griff- und zylindrischem Dornprofil, mit Zeigefingerkuhle


Abb.n 17 u. 18  Zimmertüre mit Funktionsmuster des Türdrückers nach Entwurf #1

Die Verbindung zwischen Griff und Dorn mit zwei Gehrungsflächen wurde aus formalen Gründen gewählt: Am zylindrischen Griff sollten beide Stirnflächen erhalten bleiben.

Entwurf #2

Abb.19  Entwurf #2
             Entwurf mit zylindrischem Griff- und elliptischem Dornprofil (Anmerkung 9), mit Zeigefingerkuhle

Dieser Entwurf unterscheidet sich vom vorstehenden durch sein elliptisches anstatt rundes Dornprofil. Die Ellipse ist in Richtung ihrer kurzen Achse weniger konvex, bietet somit dem Zeigefinger einen sanfteren Anschlag als der runde Querschnitt. Eine Variante ohne Zeigefingerkuhle wäre auch möglich. Für die Daumenauflage ist der Griff genügend lang. Er müsste aber leicht über den Dorn vorstehen, falls eine Daumenmulde angebracht werden sollte. Obwohl jetzt kein Überstand existiert, wurde die Verbindung zwischen Griff und Dorn mit zwei Gehrungsflächen gestaltet: Aus formalen Gründen sollten am zylindrischen Griff beide Stirnflächen erhalten bleiben.

Abb.19a  Funktionsmuster der Entwürfe #1 (oben) und #2 (unten) im Vergleich

Entwurf #3

Abb.20  Entwurf #3, hergeleitet aus Entwurf #2:
             rechts: Ausführung als "Rahmentürdrücker" mit schrägem Dorn
                        (ausreichende Entfernung des Griffs von der Türkante)
             links: Erweiterung zu U-Form-Griff (EN 179)

Bei den Drückervarianten für i.d.R. Glastüren mit schmalem Metallrahmen ("Rahmentürdrücker") befindet sich der Dorn relativ zum Griff weiter vorne als bei den Standardausführungen. Das ist erforderlich, damit die Hand (insbesondere der Daumen) genügend weit von der Türkante entfernt bleibt und nicht zwischen Türe und Türrahmen geraten kann. Ich brachte anstatt des meistens verwendeten, zweimal 90° geknickten (etwas "holprigen") Dorns (Beispiel: s. Abb.21, rechts) einen 45° schrägen Dorn an (Abb.20, rechts). Trotz der nicht ganz sicheren Stopp-Wirkung des schräg angeordneten Dorns wäre auch hier eine Variante ohne Zeigefingerkuhle denkbar.

An manchen Türen ist nach Euronorm EN 179 die Verwendung von Türgriffen vorgeschrieben, deren Anfang zum Türblatt hin abgewinkelt ist (Beispiel: s. Abb.21, links). Bei Panik soll die Gefahr verzögerter Passage der Tür durch Hängenbleiben am Griff mit der Kleidung nicht bestehen. Ich habe am Griffanfang rechtwinklig ein Stück Stab mit gleichem elliptischen Querschnitt, wie ihn der schräge Dorn hat, angesetzt (Abb.20, links).


   Abb.21  "Rahmentürdrücker" (gleichzeitig mit U-Griff nach EN 179), FSB # 06 1016
   Abb.22  Gropius-Drücker

Entwurf #4

Abb.23  Entwurf 4
             Entwurf mit zylindrischem Griff- und rechteckigem Dornprofil


Abb.n 24 u. 25  Zimmertüre mit Funktionsmuster des Türdrückers nach Entwurf #4

Mein in den Abb.n 23 bis 25 gezeigter Entwurf ist eine Näherung an den Drücker von Gropius (Abb.22), der dessen "reifste Leistung nicht war", und bei dem "zeigefinger und daumen in eine ausgesprochene konfliktzone opponierender formaler konzepte geraten" (Aicher in [1: "der nicht mehr brauchbare gebrauchsgegenstand"]). Ich habe die Stelle des Wechsels vom zylindrischen Griff zum vierkantigen Dorn so gestaltet, dass der "daumen sanft aufliegt und der zeigefinger exakt in den innenwinkel geführt wird".

Den zylindrischen Griff habe ich mit einem reichlichen Halbzylinder verlängert (bzw. einen verlängerten Griff im Bereich der Verlängerung auf fast einen Halbzylinder reduziert):
  Die Außenfläche des Halbzylinders dient zur Auflage des Daumens (sie ist lang genug; der Gedanke an eine
    Daumenmulde erübrigt sich, da die Zeigefingerkuhle zum Konzept gehört).
  Der kreisförmige Übergang auf den Halbzylinder und dessen ebene Innenfläche ergaben
    im Wesentlichen die Kontur der Zeigefingerkuhle (weitere Begrenzung ist eine Seitenfläche des Dorns)
    und die Verbindungsfläche mit dem Dorn.

Der Querschnitt des Dorns ist rechteckig (quadratisch bei Gropius). Die breitere Seitenfläche ermöglicht, dass der Zeigefinger sanft am Dorn anliegt.

Entwurf #5

Abb.26  Entwurf #5, hergeleitet aus Entwurf #4:
             Ausführung als "Rahmentürdrücker" mit "Winkel-Dorn"

Bei dieser Ausführung taucht der in der Standard-Ausführung von Gropius verwendete "Winkel-Dorn" (vgl. Abb.22) wieder auf. Seine Stirnfläche ragt über die zylindrische Kontur des Griffs nach hinten hinaus, so dass die Zeigefingerkuhle genügend sicherer Stopp für die Hand bleibt.

Abb.27  Funktionsmuster der Entwürfe #4 und #5

6. Literatur

[1] Otl Aicher, Jürgen-Werner Braun, Siegfried Gronert: "Türklinken - Workshop in Brakel" Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln, 1987
[2] Otl Aicher, Robert Kuhn: "Greifen und Griffe", Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln, 1987
[3] Siegfried Gronert: "Türdrücker der Moderne- Eine Designgeschichte", Verlag Buchhandlung Walther König, Köln, 1991

7. Anmerkungen

Anmerkung 1:   ↑ zurück
Gemeint ist hier lediglich das Bedecken der Türöffnung mit der Türplatte (wie das Bedecken der Kloschüssel mit dem Klodeckel), nicht das Verschließen mit Schlüssel.

Anmerkung 2:   ↑ zurück
Mit "hebender Falle" wird ziemlich umständlich versucht, auf die Veränderung vom ein- zum zweiseitigen Hebel hinzuweisen.

Anmerkung 3:   ↑ zurück
Im Türschloss befinden sich heute zwei Riegel (schießende Fallen), ein schnappender (angeschrägt) und ein mit Schlüssel zu verschiebender (nicht angeschrägt). Anfänglich wurde der schnappende Riegel zum Schließen und Öffnen der Tür mit Hilfe eines reichlich ¼ Drehung machenden, abziehbaren Schlüssels verwendet (Schnappschloss). Es gab keinen zweiten Riegel und keinen Türdrücker. Der Schlüssel am schnappenden Riegel wurde später gegen den Türdrücker ausgetauscht, und zum Verriegeln mit dem eine volle Drehung machenden, weiterhin abziebaren Schlüssel wurde der nicht angeschrägte Riegel zugefügt.

Anmerkung 4:   ↑ zurück
Die Klinke kommt in ihrer neuen Bedeutung auch in Redewendungen vor, z.B. in
"Sich die Klinke in die Hand geben,"
"Klinken putzen gehen."

Anmerkung 5:   ↑ zurück
Unterscheidung nach Robert Kuhn in [2] (Kleine Griffkunde für Anfänger): "Nach dem Design kann man zwischen Universal- und Handformgriffen unterscheiden"

Anmerkung 6:   ↑ zurück
Nach inzwischen 30 Jahren ist erkennbar, dass die damalige Veranstaltung der im Bericht ebenfalls formulierten Aufgabe, die Hand künftig wieder mehr an der Erfahrung der Welt teilnehmen zu lassen, dem Türdrücker wieder eine moderate Handform zu geben [2], zu keiner Erfüllung verhalf. Einige Vorschläge von Architekten und Designern im engeren Sinne waren dafür ungeeignet, z.T. handelte es sich um Plastiken, mit denen "die Zweckhaftigkeit aus der Welt geschaffen" worden war [1: "der nicht mehr brauchbare gebrauchsgegenstand"]. Einige waren redesign-te, für den Gebrauch unveränderte "Klassiker" (Walter Gropius, Ludwig Wittgenstein, Johannes Potente (FSB)). Nur von drei der zehn beteiligten Entwerfer wurden einige dem "Zeitgeist folgende Universaldrücker", die folglich heute nicht mehr im FSB-Katalog enthalten sind, ins Programm aufgenommen.

Anmerkung 7:   ↑ zurück
Meine Lektüre beschränkte sich auf die inzwischen sechs von FSB herausgegebenen Bücher, andere relevante Werke zum Thema fand ich nicht.

Anmerkung 8:   ↑ zurück
Darüber, dass die Hand nicht immer unbedingt und sicher das tut, was sie soll, äußerte sich Wilhelm Braun-Feldweg 1989 in einem Interview wie folgt [3, S.57]:
"Sie können nicht vom Menschen verlangen, daß er sich vor der Tür geistig präpariert zum Zugreifen und seine Hand " und seine Finger "in die richtige Lage bringt."
Braun-Feldweg hatte seit 1952 insgesamt 32 in den Handel gebrachte Türdrücker entworfen. Mit obigem Zitat begründete er nachträglich seine Ende der 1950-er Jahre vollzogene gemäßigte Abkehr von der "organischen Vollendung der Handform" am Türdrücker, die damals mehrere Entwerfer und Produzenten anstrebten.
Braun-Feldweg gesteht im gleichen Interview zunächst dem Schutzbedürfnis der Finger noch zu, dass die Hand nicht zu weit nach vorne rutschen dürfe (vermutlich mittels einer Zeigefingerkuhle). "Der Daumen kann allerdings machen, was er will.". Zum Schluss zieht er sich auch von den anderen der "vier Gebote des Greifens" zurück: "Der normale Mensch muß etwas vorfinden, was so einfach ist wie - etwa der Wittgenstein-Griff.".
Der Wittgenstein-Drücker (Dorn und Griff) war ein gebogenes Ein-Stück-Rundeisen von 17 mm Durchmesser (dreifach geknickt zur Verwendung als "Rahmentürdrücker").

Anmerkung 9:   ↑ zurück
Das Zusammenfügen dieser beiden Querschnittsformen mit Gehrung wurde von Hartmut Weise beim SFB-Drücker #1108 in umgekehrter Reihenfolge angewendet: elliptischer Griff- gegen runden Dorn-Querschnitt.





Abb.28  Türdrücker FSB #1108


Siegfried Wetzel, CH 3400 Burgdorf, September 2016

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