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Eine Viel-Nodus-Sonnenuhr

Inhalt

1. Herleitung der Viel-Nodus- aus der Ein-Nodus-Sonnenuhr
2. Viele fixe Nodi oder nur ein verstellbarer Nodus?
    2.1  Die "Kopfsonnenuhr" in Engelberg/CH
    2.2  Der "wandernde Gnomon" der Engelberger Sonnenuhr
    2.3  Die "Einheitsgröße" der die Engelberger Sonnenuhr benutzenden Personen
    2.4  Der Anzeigefehler der Engelberger Sonnenuhr beim Benutzen durch verschieden große Personen
3. Eine auf zwei Arten verwendbare Sonnenuhr
4. Nachweise
5. Nachtrag

1. Herleitung der Viel-Nodus- aus der Ein-Nodus-Sonnenuhr

Eine Viel-Nodus-Sonnenuhr ist eine Variante zur gewöhnlichen Sonnenuhr, die nur einen Nodus hat (im Folgenden Ein-Nodus-Sonnenuhr genannt). Sie entsteht durch Elemente-Wechsel (s.a. Vielstab-Sonnenuhr und Die Sonnenuhr als technisches Instrument, Abschn. 4.7):
1. Viele Skalenpunkte werden gegen viele schattenwerfende Punkte (Nodi) ausgewechselt.
2. Der Nodus wird gegen einen Skalenpunkt (Anzeigepunkt) ausgewechselt.
Auf den Anzeigepunkt fällt der Schatten desjenigen der vielen Nodi, dessen Lage relativ zum Skalenpunkt dem momentanen täglichen (Tageszeit) und jährlichen (Kalendertag) Zeitpunkt bzw. Sonnenstand entspricht.

Die Herleitung werde von einer Ein-Nodus-Sonnenuhr, z.B. von einer ebenen horizontalen Sonnenuhr, ausgehend vorgenommen. Der Fußpunkt des dieser zu-denkbaren Polstabs wird dabei (willkürlich) zum Anzeigepunkt der neuen Sonnenuhr gemacht. Bei der Ein-Nodus-Sonnenuhr gehen alle zur Anzeige verwendeten Sonnen/Schatten-Strahlen durch ihren ( (oben liegenden) Nodus, und bei der Viel-Nodus-Sonnenuhr treffen sich die Schattenstrahlen aller ihrer Nodi im (unten liegenden) Anzeigepunkt (bewusster Fußpunkt).


Abb.1  Konstruktion einer horizontalen ebenen Viel-Nodus-Sonnenuhr (links),
           ausgehend von einer Ein-Nodus-Sonnenuhr (rechts),
           Stundenlinien für WOZ (wahre Ortszeit)

In Abb.1 ist die Konstruktion von drei Jahreszeit- bzw. Sonnendeklinations-abhängigen Nodi für die 12h-Stunde (oben in der Abb.) gezeigt. Die Nodi S', Ä' und W' entstehen aus den Schattenpunkten S (Sommersolstitium), Ä (Äquinoktien) und W (Wintersolstitium) durch Parallelverschiebung der drei von δ (Sonnendeklination) abhängigen Strahlen aus dem Nodus N in den Anzeigepunkt A (=F). Ihre Lage (in einer Linie) in einer über dem Zifferblatt parallelen Ebene (Viel-Nodus-Ebene) ist abhängig von der Distanz zwischen beiden Ebenen. In der Abbildung ist diese (willkürlich) gleich der Höhe h des Ein-Nodus N über dem Zifferblatt (N liegt in der Viel-Nodus-Ebene). Wegen dieser Wahl ist N das Zentrum des Büschels der mit deklinations-abhängigen Nodi besetzten Stundenlinien, und das Längenverhältnis zwischen diesen Linien und denen auf dem Zifferblatt ist 1 : 1.

Die Vielnodusebene ist identisch mit dem gedrehten und gespiegelten Zifferblatt der Horizontaluhr:
Da der fiktive Polstabfußpunkt zum Anzeigepunkt gemacht wurde, entsteht die Stundenlinie S'-Ä'-W' aus der zugehörigen Stundenlinie S-Ä-W durch deren 180°-Drehung um die Mitte M des Polstabs p. Das gilt für jede Stundenebene, wobei die Drehachse jeweils eine Normale auf diese Ebene ist (in Abb.1, oben: beispielsweise in der 12h-Ebene).
Anstatt jede Stundenlinie einzeln zu drehen, kann das gesamte Zifferblatt um eine Horizontale durch M gedreht und anschließend in der Meridianebene gespiegelt werden (Abb.2).


Abb.2  wie Abb.1; Modell (Pappe, Nähnadel und Holzleiste)

2. Viele fixe Nodi oder nur ein verstellbarer Nodus?

Eine angefertigte horizontale Viel-Nodus-Sonnenuhr könnte eine Vielzahl von in der Ebene stehenden gleich großen Stäben (Gnomone) haben, deren Spitzen als Nodi fungieren. Sie wären in Stunden-Reihen teil-zusammengefasst (Endstäbe für S' und W'). Auf den Anzeigepunkt fällt immer nur ein Stabspitzenschatten, derjenige, der einem momentanen Zeitpunkt entspricht. Für Zeitpunkte dazwischen erfolge Interpolieren wie üblich.

2.1  Die "Kopfsonnenuhr" in Engelberg/CH


Abb.3  Horizontale ebene Sonnenuhr mit "Wander-Gnomon" [1] in Engelberg (Kanton Obwalden, Schweiz)
           Anzeige: MESZ (austauschbare Ziffern für MEZ).
           Foto: Louis-Sepp Willimann, aufgenommen am 23.9.2012
           (Deutsche Gesellschaft für Chronometrie: Katalog der Sonnenuhren in Deutschland und in der Schweiz)

Bei einem sich in Engelberg (Kanton Obwalden, Schweiz) befindenden Exemplar dient der "wandernde" Benutzer als "Vielnodus"-Schattenwerfer (Abb.3). Er muss allerdings im Gegensatz zur Analemmatischen Sonnenuhr eine bestimmte Körpergröße haben, denn nicht ein Stab, der den erforderlichen Nodus automatisch bereithält (s. z.B. Modell für die Ableitung der analemmatischen Sonnenuhr), genügt, sondern ein definitiver Nodus (ersatzweise der Kopf des Benutzers in richtiger Höhe: "Kopfsonnenuhr") ist erforderlich. Der Benutzer sucht denjenigen Standort auf einer Stundenlinie am Boden (entspricht einer Stundenreihe von Gnomonen) oder zwischen den Linien aus, von dem aus sein Kopf-Schatten auf den Anzeigepunkt fällt. Die Stundenlinien sind sogar als Analemma-Figuren ausgeführt (bei einer Sonnenuhr mit Nodus grundsätzlich möglich), so dass die vollen Stunden als mit der Zeitgleichung korrigierte Werte angezeigt werden.

2.2  Der "wandernde Gnomon" [1] der Engelberger Sonnenuhr

Die Engelberger "Kopfsonnenuhr" ist nicht die Folge meiner Überlegungen. Sie war umgekehrt der Anlass dafür. Viel-Nodus-Sonnenuhr ist lediglich als Arbeitstitel zu verstehen. Die Engelberger Sonnenuhr mit einem einzigen, stetig einen anderen Ort in der Nodus-Ebene einnehmbaren schattenwerfendem Punkt als Spitze eines vertikalen Gnomons ist wesentlich praktischer als ziemlich viele Punkte (ein regelrechtes Punkte-Feld) über dem Boden. Dieser dient als Hilfsebene für die Stundenlinien-Skala (vertikale Parallel-Projektion aus der oben befindlichen Nodus-Ebene). Ein Mensch vorgegebener Größe wandert über diese Linien am Boden zum passenden Punkt, vom dem aus der Schatten seines Kopfes auf den Anzeigepunkt fällt. Um nicht auf Personen in "Einheitsgröße" angewiesen zu sein, wird die Verwendung eines verstellbaren Stabes mit dieser Einheitslänge (evtl. mit einer faustgroßen Kugel am oberen Ende) empfohlen.

2.3  Die "Einheitsgröße" der die Engelberger Sonnenuhr benutzenden Personen

Es erstaunt, dass die Kopfhöhe des abgebildeten 14-jährigen Mädchens in etwa richtig zu sein scheint (Abb.3). Der Fotograf des Bildes erinnerte sich auf Anfrage an das damalige Alter seines Modells und hat jetzt freundlicherweise auch die Längen einiger Analemma-Stundenfiguren gemessen. Die mit diesen Werten erfolgte Nachrechnung ergab als passende Kopfhöhe etwa den Wert von 1,25 Metern, was für die Größe eines Mädchens dieses Alters viel zu wenig ist. Davon abgesehen, es ist auch kaum vorstellbar, dass diese Sonnenuhr nicht für i.d.R. deutlich größere Erwachsene (insbesondere für die Bewohner des Altersheims, auf dessem Grundstück sie sich befindet) ausgelegt sei. Eine nochmalige Nachfrage führte zur Klärung des Problems: Die Wiese, auf der diese Sonnenuhr angebracht ist, hat etwa gegen Süden leichtes Gefälle. Bei angenommen 5° Gefälle erfolgt aus der Nachrechnung für die Länge der wahrer-Mittags-Figur (Analemma) eine Kopfhöhe (Mitte des Kopfes) von 1,61 Metern, was in etwa zu einer 1,70 Meter großen erwachsenen Person und auch zum abgebildeten 14-jährigen Mädchen passt (Größe heutiger Mädchen dieses Alters: 1,54m bis 1,76m, im Durchschnitt 1,65m, [2]).


Abb.4  Ermittlung der "Kopfhöhe" der Engelberger Sonnenuhr, Meridianebene, maßstäbliche Zeichnung
           Begrenzung der Mittagsstundenlinie L bzw. L' durch kürzeste und längste Schatten zur
           Sommer- (Sonnendeklination = +ε = +23,44°) bzw. Wintersonnenwende (Sonnendeklination = -ε = -23,44°)

einige Rechnungen:
Für Engelberg (φ = 46,82°) hat die Länge der Mittagsstundenlinie L bzw. L' (Bodenanstieg 5°) einer Nodus-Bodensonnenuhr die relativen Werte
L/K = 2,35 bzw. L'/K' = 1,83 (Abb.4).
Aus den Messwerten der beiden kürzesten Analemmafiguren (12h und 13h MEZ) ergibt sich durch Interpolieren 2,95 Meter für die Länge der Mittagsstundenlinie 12h wahre Sonnenzeit. Dieser Wert für L bzw. L' in die beiden errechneten Verhältnisse eingesetzt führt zu den o.g. Kopfhöhen
K = 1,25 Meter bzw. K' = 1,61 Meter.

2.4  Der Anzeigefehler der Engelberger Sonnenuhr beim Benutzen durch verschieden große Personen

Der Hausmeister des die Sonnenuhr besizenden Altersheims erinnert sich, dass diese von ihrem Konstrukteur, dem inzwischen verstorbenen Pater Bonaventura Thürlemann  aus dem Kloster Engelberg für Personen mit einer Größe von etwa 1,6 m bis 1,8 m (1,7m ± 6%) ausgelegt worden sei. Das bedeutet auf den Mittelwert von 1,7 m bezogen nur, dass die Wiese etwas mehr als 5° geneigt ist.

In Abb. 5 sind drei 5° geneigte Zifferblätter der Engelberger Sonnenuhr analoger Ein-Nodus-Sonnenuhren mit den Nodus-Höhen 100% ± 6% übereinander gelegt. Der Leser möge daraus selbst einen Eindruck über den Anzeigefehler bei ±6% Abweichung von der "Einheitsgröße" gewinnen. Links unten ist maßstäblich (100% entsprechen 1,65 m) ein Fleck mit 25 cm Durchmesser eingetragen. Das entspricht dem Mindest-Platz, den die beiden Füße eines Menschen und auch das Schattenbild seines Kopfes einnimmt. Die Analemmata-Linien sind mit etwa 5 cm (Pflastersteine) relativ breit. Der wegen aller dieser Ausdehnungen entstehende zufällige Messfehler hat bereits die gleiche Größenordnung wie der systematische Fehler durch die "erlaubte" Abweichung der Körperlänge des Benutzers vom Vorgabewert 165 cm (resp.170 cm). Deutlich bemerkbar sollte lediglich sein, dass kleinere Personen die definitiven Analemmata an ihren äußeren Enden zur Wintersonnenwende nicht erreichen, während größere Personen weiter außen stehen müssen. Die mässige Anzeigegenauigkeit wird dabei aber nicht weiter geschmälert.


Abb.5  übereinandergelegte Zifferblätter einer ebenen, 5° inklinierende Sonnenuhr, Nodushöhe 94%, 100%, 106%
           geographische Breite 46,82°N, geographische Länge 8,41°O (beides für Engelberg), Mitteleuropäische Zeit

3. Eine auf zwei Arten verwendbare Sonnenuhr

Beim Betrachten des in Abb.2 gezeigten Modells wird schnell ersichtlich, dass mit nur einem Zifferblatt beide Sonnenuhren darstellbar sind, wenn dieses auf einer durchsichtigen Platte angebracht ist. Das Ergebnis wird in Abb.6 gezeigt.

Eine zweite kleine parallele Ebene enthält nur eine Markierung, die einmal der Nodus der Ein-Nodus-, ein zweites Mal der Anzeigepunkt der Viel-Nodus-Sonnenuhr ist. Wegen der Vor-/Nachmittags-Symmetrie eines horizontalen Zifferblattes für WOZ sind dessen Vorder- und Rückansicht identisch. Lediglich die Reihenfolge der Stundenzahlen ist umkehrt (unterschiedliche Bezifferung auf Vorder- und Rückseite auf je undurchsichtigem Untergrund).

Damit der Schatten des Nodus-Punkts auf (der Rückseite) der unteren Platte (resp. Streifen) zu erkennen ist, wird die Uhr auf einer weißen Platte abgestellt. Da im Schattenbild die Stundenziffern wegen der beidseitigen Verwendung des Modells fehlen, muss die Vielnodusebene zum Ablesen benutzt. werden. Zur Vereinfachung wird eine Lochscheibe, deren Schatten mit der Bodenmarkierung zur Deckung zu bringen ist, aufgelegt (links in Abb.6).


Abb.6  Zwei Sonnenuhren in einer; für eine zweite Verwendung wird die Uhr umgekehrt aufgestellt. 11:45 WOZ
            rechts: Verwendung als Ein-Nodus-Sonnenuhr,
            links:   Verwendung als Viel-Nodus-Sonnenuhr

4. Nachweise

[1] Helmut Sonderegger: "Eine ungewöhnliche Sonnenuhr", sonne+zeit, Rundschreiben der Arbeitsgruppe
     Sonnenuhren im Österreichischen Astronomischen Verein, #51, Juni 2017, Vorabdruck
[2] Pädag. Institut für die deutsche Sprachgruppe Bozen: Datensätze zur Körpergröße bei Kindern und Jugendlichen

5. Nachtrag: Oktober 2017

Bei einem Besuch in Engelberg konnte ich die in mir bisher zur Verfügung gestandenen Bildern (Abb.3 u.a.) nicht sichtbare erhebliche Neigung der Wiese mit Sonnenuhr deutlich erkennen (Abb.7). Eine bei dieser Gelegenheit vorgenommene Messung ergab einen Wert von etwa 5,2°, was die oben genannte Erkenntnis - wenig mehr als 5° - bestätigte.

Abb.7  Engelberger Sonnenuhr aus Abb.3; Foto im Oktober zu etwa 12h wahre Ortszeit
           etwa 5° gegen Süd abfallende Wiese mit aus Pflastersteinen gebildeten Analemmata aus ca. West gesehen
           5°-Hilfslinie: Schatten eines Baumstammes (vertikale Hilfslinie: Hauswandkante)

LogoSW Siegfried Wetzel, CH 3400 Burgdorf (November 2016, April 2017, Oktober 2017)

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