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Uhr, Schiebelehre und eine Nonius-Uhr

(Chronométrophilia, No 52, 2002
 DGC-Jahresschrift, 2003)

Zusammenfassung

In der Entwicklungsgeschichte von Uhr und Schiebelehre gibt es jeweils ein in der Anzeige vergleichbares Gerätepaar. Ausnahme ist die Nonius-Schieblehre, deren Uhren-Gegenstück keine Verbreitung fand.

Inhalt

1. Einleitung
2. Vergleich der Anzeige-Methoden
3. Herleitung der Nonius-Uhr
4. Weiterentwicklung der Nonius-Uhr
5. Warum gab es keine Nonius-Uhr ?
6. Von der Nonius-Uhr zur Moiré-Uhr
7. Schwarz-Weiß-Umkehr beim Moirè-Muster
8. Literatur
9. Nachtrag Juni/2021

1. Einleitung  ↑ Anfang

Die Uhr "geht mit der Zeit", sie zeigt etwas Vergängliches momentan an. Mit der Schiebelehre wird eine Länge, die im Allgemeinen dauerhaft ist, gemessen. Vom Zweck her gesehen besteht somit zwischen beiden Geräten ein beträchtlicher Unterschied. Dennoch sind sie in einem Punkte vergleichbar: Es sind die Anzeige-Methoden. Bei der technischen Fortentwicklung entstand jeweils ein in der Anzeige vergleichbares Gerätepaar. Ausnahme ist die Nonius-Schiebelehre, die kein Uhren-Gegenstück hat. Die fehlende Nonius-Uhr wird entworfen. Sie wird weiter entwickelt, damit sich alle Ablesungen vom Zifferblatt aus vornehmen lassen. Danach folgen Überlegungen , warum es dies Nonius-Uhr nicht gab, warum der alten Einzeiger-Uhr gleich die Zweizeiger-Uhr folgte. Abschliessend wird anhand einer Moiré-Uhr auf eine Variante des Nonius-Prinzips eingegangen.

2. Vergleich der Anzeige-Methoden  ↑ Anfang

In Abb.1 sind die einander entsprechenden Ausführungen bei der Uhr (links) und bei der Schiebelehre (rechts) gegenüber gestellt. Die technische Fortentwicklung verläuft im Bild von oben nach unten.

Abb.1 Sich entsprechende Anzeige-Methoden bei Uhr und Schiebelehre

Am Anfang ist die Präzision bei jedem Gerät noch klein. Deshalb begnügen sich die ersten Uhren mit nur einem, dem Stundenzeiger, und die erste Schiebelehre, die Kluppe hat auch nur einen Zeiger, nämlich die Vorderkante des Schiebers (Abb.1, 1.Zeile). Bei der Uhr kommt der Minutenzeiger als zweiter bald dazu; bei der Schiebelehre ist die zusätzliche uhrenförmige Anzeige jedoch sehr jung (3.Zeile). Auch in der vorläufig letzten, der digitalen Stufe (4.Zeile) besteht Ähnlichkeit bei der Anzeige.

Besondere Bewandtnis hat es mit der Nonius-Uhr in der 2.Zeile. Sie wurde beim Übergang von der Einzeiger- zur Zweizeiger-Uhr offensichtlich übersprungen, obwohl eine einfache Ausführung rechtzeitig vorgeschlagen wurde (Père Mathion, 1676, [1]). Ihren Platz in Abb.1 nimmt die Uhr ein, die im folgenden Abschnitt hergeleitet und weiterentwickelt wird.

3. Herleitung der Nonius-Uhr  ↑ Anfang

Der Nonius ist das Strichmuster auf dem Schieber, das in bestimmtem Verhältnis zu den Skalenstrichen des festen Stabes ausgelegt ist und mit ihnen korrespondiert (Abb.1, 2.Zeile, rechts und Abb. 2 bis 4, links). Fluchtet ein Schieber-Strich mit einem Skalen-Strich, so wird ein Teil-Wert der Skalen-Einheit angezeigt. Meistens wird der Millimeter in seine Zehntel aufgelöst (Zehntel-Nonius).

Der Nonius ist ein zweiter Zeiger, der aber materiell nicht existiert, sondern nur eine momentane Fluchtung zweier Striche ist. Er übernimmt bereits die Funktion des späteren echten Zeigers (Abb.1, 3.Zeile, rechts). In der herzuleitenden Uhr geht er dem echten Minutenzeiger voraus und verlangt vom Uhrwerk noch keinen weiteren als den Stunden-Abtrieb.

Der direkte und einfache Schritt vom Vorbild zur Uhr ist in Abb.2 dargestellt. Bei einem linearen Zwölftel-Nonius sind die Schieber-Striche mit Teilwerten der Stunde in Minuten beschriftet. Die Geraden von Stab und Schieber werden in Kreise umgeformt. Aus dem Stab wird das feste Zifferblatt mit Stunden-Skala. Der Schieber wird zur drehenden Scheibe mit Stunden-Antrieb. Auf ihr wird der Ablauf der Stunde in 12 Teilschritten (1 Teil = 60/12 = 5 Minuten) erkennbar. Beim ersten Scheiben-Strich ist der Stundenzeiger angebracht.

Abb.2 Nonius-Uhr

Diese "Eins zu Eins"-Nonius-Uhr ist zum bequemen und sicheren Ablesen der Minuten immer so zu drehen, dass der Stundenzeiger oben ist. Gegenüber der Einzeiger-Uhr ist das ein Schritt zurück, während die Nonius-Schiebelehre nicht anders als die ältere einfache Kluppe gehalten werden muss. Da es vor der Einführung der Zweizeiger-Uhr vermutlich noch keine tragbaren und somit beliebig in der Hand haltbaren Uhren gab, wäre diese einfache Lösung ohne Weiterentwicklung auch kaum in Gebrauch gekommen.

4. Weiterentwicklung der Nonius-Uhr  ↑ Anfang

Ziel ist, die Minuten-Anzeige zusätzlich zur Stunden-Anzeige auf festem Zifferblatt unterzubringen.

Abb.3 11-Stunden-Nonius-Uhr

In Abb.3 ist ein Zwischenschritt dargestellt. Die Uhren-Skala entsteht aus einen um 1 Stunde verkürzten Zwöllftel-Nonius. Dadurch wird die Scheiben-Skala zum gewünschten Vollkreis. Bei vorläufig noch angewendeter üblicher Nonius-Ablesemethode handelt es sich aber um eine 11-Stunden-Uhr.

Abb.4 Verbesserte Nonius-Uhr

Der Schlussschritt ist überraschend einfach (Abb.4). Werden nämlich die Strich-Konjunktionen von aussen her, d.h. vom festen Zifferblatt aus registriert und bewertet, so ist das Ziel erreicht. Die äusseren Striche unterteilen die Stunde zwar nur in 11 Teile (1 Teil = 60/11 = ca. 5,5 Minuten). Es bleibt aber bei einer 12h-Uhr. Der Stundenzeiger behält seine eigene engere Skala mit 12 Markierungen. Es ist die äussere der beiden Skalen.

Diese verbesserte Nonius-Uhr ist schon in Abb.1 enthalten.

Die Teilungen der beiden miteinander korrespondierenden Skalen unterscheiden sich immer um 1: 9/10 beim 10er-Nonius, 59/60 bei der Einzeiger-Uhr mit min-Nonius und 59/60 bei einer Einzeiger-Uhr mit sec-Nonius ( siehe unten: Abb.7 etc.)

5. Warum gab es keine Nonius-Uhr ?  ↑ Anfang

Das Nonius-Prinzip erlangte also bei der Uhr keine Bedeutung. Die Nonius-Schiebelehre hatte hingegen grosse Verbreitung und bekam erst verspätet einen Nachfolger mit echtem zweiten Zeiger. Denn der Zusatzaufwand von Zahnstange und Ritzel, um lediglich die Ablesung bequemer zu machen, konnte lange Zeit nicht in Kauf genommen werden. Bei der Uhr brauchte der Minutenzeiger aber nur auf einer vorhandenen Zwischenwelle angebracht werden, denn von Anfang an waren zwischen schnellem Gangrad und Stundenabtrieb mehrere untersetzende Rädergetriebe nötig. Die Getriebestufung musste nur so gewählt werden, dass eine der Zwischenwellen als Minutenabtrieb geeignet war. Das bequeme Ablesen der Minute wurde somit sehr früh und erst noch mit höherer (Sechszigstel-) Auflösung als bei der Nonius-Uhr möglich.

6. Von der Nonius-Uhr zur Moiré-Uhr  ↑ Anfang

Das Nonius-Prinzip ist eine nüchterne Anzeige-Methode, die wohl in der Vergangenheit passend war. Es ist wenig wahrscheinlich, dass die Nonius-Uhr - obwohl als weiterentwickelte Variante vorliegend - in der Gegenwart Aufmerksamkeit finden wird. Von der Nonius-Uhr aus führt aber ein Fortschritt zu einer anderen, bisher nicht angewendeten Anzeige-Methode, die Interesse verdient. Ihr liegt der Moiré-Effekt zu Grunde, der wegen seiner faszinierenden Wirkung häufig in der Kinetischen Kunst benutzt wird, aber auch in technischen Anwendungen vorkommt.

Abb.5 enthält die der Nonius-Uhr von Abb.4 entsprechende Moiré-Uhr. Die aus zwei bis drei Punkten bestehende, scheinbar umlaufende Moiré-Figur macht den Ablauf der Stunde viel augenscheinlicher als der Nonius, dessen Fluchtungen erst gesucht werden müssen. Aus der Moiré-Figur ist die Zeit bei schnellem Blick auf fünf Minuten, bei Interpolation sogar bis auf eine Minute genau ablesbar.

Abb.5 Uhr mit Minuten-Moiré

Abb.6 Zifferblatt und Scheibe der Moiré-Uhr von Abb.5

Wird, wie in Abb.7, eine Scheibe auf der Minutenachse angebracht, so kann mit Hilfe des Moiré-Effektes die Drehung des Sekundenzeigers simuliert werden. Diese scheinbare Moiré-Drehung ist besonders faszinierend, da sie ja sehr schnell erfolgt. Die Teilungszahlen für Zifferblatt und Scheibe betragen hier 59 und 60.

Wenn schon eine zweite Moiré-Anzeige möglich ist, so möchte man beide in einer Uhr haben. Dabei drehen sich zwei aufeinanderliegende Scheiben. Die Skala auf der äußeren Scheibe kann man nicht auf eine auf dem Zifferblatt angebrachte beziehen, sondern muss die Bezugsskala auf der dazwischen liegenden, aber drehenden inneren Scheibe anbringen. Durch das Mitdrehen der Bezugsskala ändern sich die Teilungen von 59/60 zu 64/65, denn eine relative Umdrehung der äußeren Scheibe zur Bezugsskala beträgt absolut 360,5° (Stundencheibe dreht 30°pro Stunde = 0,5°pro Minute weiter). 360,5°/360° = 1,00139. Das gesuchte Skalenverhälnis geteilt durch diesen Faktor muß 59/60 = 0,98333 betragen. Das wird mit 64/65 in guter Näherung erreicht: (64/65) / 1,00139 = 0,98325 (Unterschied ≈ 0,00008  < 0,1 ‰ = 7  sec/Tag)

Abb.7 Uhr mit Sekunden-Moiré

7. Schwarz-Weiß-Umkehr beim Moirè-Muster  ↑ Anfang

Eine Moiré-Figur entsteht, wenn man zwei gleiche schwarz gezeichnete Muster, deren Rastermasse sich geringfügig unterscheiden, übereinander legt, wobei sich das obere auf durchscheinendem Untergrund befinden muss. Bei einer solchen Figur sind Konjunktionen und vor allem deren Veränderungen viel deutlicher sichtbar als beim Nonius, wo die beiden Muster nur aneinander stossen. Eine Moiré-Figur kann aber auch recht verwirrend sein, weil sie dieselbe ganze Fläche wie jedes der beiden Muster ausfüllt. Hier hilft die Positiv-Negativ-Umkehr, die bei beiden Mustern anzuwenden ist. Die Nonius-Uhr hat schwarze Striche auf weissem Grund (Abb.4). Bei der Moiré-Uhr sind kleine weisse Flächen auf schwarzem Zifferblatt-Hintergrund und Löcher in der schwarzen Stundenscheibe gewählt (Abb.6). Wird die Scheibe aufs Zifferblatt gelegt (Abb.5), so sind nur die momentan weiss hinterlegten Löcher sichtbar, im Grenzfall nur ein Loch. Die anderen scheinen nicht zu existieren. Die Scheibe enthält einen zusätzlichen grossen weissen Punkt als Stundenzeiger. Auf die im Rahmen der vorliegenden Darstellung hilfreichen Stundenstriche des Zifferblattes oder andere Skalen kann aber bei der Ausführung einer solchen Minimal-Uhr auch noch verzichtet werden.

Die Grösse der Löcher und der weissen Flächen bestimmen, wie viel Punkte (weiss hinterlegte Löcher) gleichzeitig sichtbar sind. Beim Sekunden-Moiré (Abb.7) ist der Durchmesser der Punkte zu Gunsten der Sichtbarkeit des resultierenden Figur auf Kosten nicht benötigter hoher Auflösung grösser gewählt als beim Minuten-Moiré (Abb.5). Die Zahl der gleichzeitig sichtbaren Punkte ist deutlich höher.

8. Literatur  ↑ Anfang

[1] Jean G. Laviolette: "De la messure en général et de celle du temps", Chronométrophilia, été 2001

9. Nachtrag Juni/2021  ↑ Anfang

Prototyp als Wanduhr

Einen Prototyp der Moirè-Uhr für den Hausgebrauch fertigte ich schon an, als ich diese Uhren-Idee hatte (Abb.8). Da ich ohne spezielle Werkzeuge - wie z.B. einenm Teilapparat - arbeiten musste, wurde dieses Exemplar eine relativ große Wanduhr: Durchmesser der Minuten-Skala etwa 125 mm.

Der Antrieb war zuerst ein 4,5 Volt - Quarz-Uhrwerk. Spärter ersetzte ich dieses durch ein 230 Volt - Synchron-Uhrwerk. Die beiden Moirè-Scheiben (Zifferblatt und Stunden-Scheibe) fertigte ich aus schwarzem Halbkarton (etwa 0,2 mm dick). Die zwölf Minuten-Löcher in der Stundenscheibe stellte ich mit einer Hand-Lochzange her. Die mit den Löchern korrespondierenden elf kurzen radialen Streifen pinselte ich mit weißer Farbe auf das Zifferblatt.



Abb.8 Wand-Uhr mit Minuten-Moiré, Montage innerhalb eines Bilderrahmens, Anzeige etwa 11:37

Computeranimationen der Moirè-Uhr

Schon etwa ein Jahr nach der Veröffentlichung dieses Artikels nahm ein in der Wikipedia Arbeitender meine Idee der Moirè-Uhr auf und stellte Coputer-Animationen dafür her (Abb.9a und Abb.9b).

Abb.9a Uhr mit Minuten-Moirè (Animation etwa 400-fach scneller)
Abb.9b Uhr mit Minuten- und Sekunden-Moirè (Animation etwa 30-fach scneller);
            auf eine höhere Auflösung der Sekunde-Anzeige ist zu Gunsten der Sichtbarkeit der Punkte verzichtet

Abb.10 Armband-Uhr mit Minuten-Moirè
            Anzeige etwa 12:38
            (Aufzugskrone ist unüblicherweise links !)

Prototyp als Armbanduhr

Bald gab es auch eine Kontaktaufnahme durch zwei Jungunternehmer, die die Moirè-Uhr als Armband-Uhr in Serie fertigen wollten. Die Sache verlief im Sande, vermutlich wegen überschätztem Vorfinanzierungs-Bedarf. Vor kurzem präsentierte mir ein Maschinenbau-Ingenieur und Hobby-Uhrenbauer einen Prototyp als Armbanduhr. (Abb.10). Bei dieser Gelegenheit wurde deutlich, dass der serienmäßige Bau einer solchen Armband-Uhr wenig Mittel für die Vorfinanzierung erfordert. Die Uhr enthält nämlich nur das Zifferblatt und die Stunden-Scheibe als besondere Bauteile. Uhrwerk und Gehäuse sind auf dem Markt in vielen Varianten erhältlich.

Der genannte Prototyp hat nur deshalb ein eigens gefertigtes Gehäuse , weil sein Erbauer auch einmal seinen eigenen Gehäuse-Entwurf (inkl. zur Gegenseite versetzter Krone) verwirklichen wollte. Als Antrieb verwendete er ein mechanisches Automatik-Uhrwerk. Zifferblatt und Stundenscheibe fertigte er aus 0,5 mm dickem Messing-Blech. Da er als "Stundenzeiger" auch ein Loch in die Stundenscheibe gebohrt hatte, musste das Zifferblatt zusätzlich zu weißen Minuten-Punkten mit einem weißen Ring bemalt werden. Das Gehäuse des Prototyps ist wegen des fehlenden Minuten- und des fehlenden Sekundenzeigers weniger hoch als ein für das verwendete Uhrwerk vorgesehenes Gehäuse. Wollte man bei Verwendung eines solchen Gehäuses unnötige Höhe vermeiden, so wäre an dessen Oberseite ein wenig (2 bis 3 mm) Material abzuarbeiten. Die Stundenscheibe dürfte deutlich weniger dick sein (max. 0,2 mm), was die Sichtbarkeit der momentan weiß unterlegten Minuten-Löcher verbessern würde. Zur Befestigung der Stundenscheibe auf der Stundenwelle dient ein an ihrem Zentrum angelöteter "Fuß" eines gängigen Stundenzeigers.

LogoSW Siegfried Wetzel, CH 3400 Burgdorf, Februar 2008 (Juni 2021)

Druck-Version (2-spaltig, 6 Seiten, *.pdf, 3.5 MB)  >>

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