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Die Heiligenkreuz-Reflex-Sonnenuhr

Inhalt

1.  Eine aus der Not geborene Reflex-Sonnenuhr
2.  Konstruktion der Heiligenkreuz-Reflex-Sonnenuhr
3.  Eine Schlussfolgerung
4.  Anmerkungen
5.  Literatur

1. Eine aus der Not geborene Reflex-Sonnenuhr

Die auf einem Platz neben dem Zisterzienser-Kloster in Heiligenkreuz südwestlich von Wien befindliche Sonnenuhr (Abb.1) hat eine abenteuerliche Entstehungsgeschichte. Sie ist eine Zugabe zu einem in einer knapp 4 Meter hohen zylindrischen Hohlwand angebrachtem Mosaik-Heiligenbild. Der Künstler dieses Bildes, vor allem aber die Bauherrschaft nahmen irrtümlich an, dass die Kanten einer davor gestellten Säule passende Schattenwerfer für eine Sonnenuhr wären (Anmerkung 1). Die Wand wurde deshalb genau nach Süd weisend errichtet. Ein zu Rate gezogener Mathematiker der TU Wien wollte seine Auftraggeber nicht abweisen, sondern versuchte das Beste daraus zu machen [1]. Die Säule war beschlossene Sache, lediglich ihre Position und ihr dreieckiger Querschnitt ließen sich geringfügig beeinflussen, und ihre Seitenwände wurden zum Aufkleben je eines schmalen reflektierenden Metallstreifens freigegeben.

Abb.1  Säulen-Reflex-Sonnenuhr, Aufnahme Anfang Juli kurz nach 8h MEZ (Normal-, nicht Sommer-)
           GSA NBN.4346
           bes. am Boden störendes Reflexlicht der nicht überall reflexfreien und z.T. unebenen Säulenseitenwände

Der Querschnitt der Säule ist ein schmales, hinten spitzes Dreieck. Somit sind die Seitenwände leicht (etwa 8°) aus der Meridianebene herausgedreht. Die darauf angebrachten reflektierenden Streifen sind in etwa parallel zur Erdachse, sind aber nur näherungsweise Polstäbe bzw. Pol-Spiegelstreifen. Zudem sind sie relativ kurz, so dass eher von etwas ausgedehnteren, die Sonne abbildenden Flecken (Nodi) zu sprechen ist. Ihr anzeigender Lichtstreifen ist gegen die Stundenlinie leicht verdreht (am Vormittag im Uhrzeigersinn, s. Abb.1: 8h ). Das Azimut der Seitenwände ist etwa -98° und +98° ("Über"-Ost-bzw.-Westwand), so dass sie einige Zeit über Mittag unbesonnt sind. Die Halb-Sonnenuhren (Vormittags- und Nachmittags-Uhr) sind nur bis 11h bzw. ab 13h ausgelegt. Die Hohlwand selbst ist ab etwa 10h bis etwa 14 Uhr besonnt, so dass die anzeigenden Lichtstreifen nicht gut zu erkennen sind, die Sonnenuhr nochmals zwei Stunden lang nicht optimal arbeitet (Anmerkung 2). Nur in den Zeiträumen vor 10h und nach 14h herrschen die für Reflex-Sonnenuhren "normalen" Bedingungen, dass reflektiertes Sonnenlicht auf eine sonst unbesonnte Fläche fällt.

2. Konstruktion der Heiligenkreuz-Reflex-Sonnenuhr

Ich habe diese Sonnenuhr quasi noch einmal nach-konstruiert, um die geometrisch-optischen Zusammenhänge zunächst für mein eigenes Verständnis heraus zu stellen. Das Ergebnis mache ich nun im Folgenden allgemein bekannt.

In Abweichung vom Original arbeite ich der Einfachheit halber mit einer ebenen Südwand als Zifferblattfläche, denn ich habe kurzfristig keinen Zugriff auf Software zum Erstellen einer Sonnenuhrenskalierung auf zylindrischer Fläche. Für prinzipielle Betrachtungen ist das ausreichend, die Ähnlichkeit ist umso größer, je weiter man sich bei der Auswertung auf die Tagesmitte beschränkt. Zudem bleibe ich bei der wahren Ortszeit (WOZ), während auf dem Original die mit der Zeitgleichung nicht korrigierte MEZ bzw. die Wahre Ortszeit auf dem nahen 15. Längengrad (Heiligenkreuz liegt etwa auf dem 16. Grad) angezeigt wird.


Abb.2  Konstruktion einer SU mit zur gewünschten Reflex-SU (Teil Vormittag) passender Wandabweichung
           links: konstruiertes Zifferblatt; rechts: Draufsicht auf Wand und Nodus

Zum Azimut -98,5° (Anmerkung 3) des reflektierenden Streifens auf der rechten Säulenwand passt eine 17° aus Süd nach Ost gedrehte Zifferblatt-Ebene einer ohne Reflexion arbeitenden Sonnenuhr. Am noch nicht gespiegelten Zifferblatt sind die Vormittags-Stunden bereits angeschrieben. Die blaue Begrenzungslinie oben deutet an, wie weit das Zifferblatt für die Anzeige bei der Wintersonnenwende (WSW) wenigstens reichen muss.


Abb.3  rechts: Spiegelung/Reflexion des konstruierten Zifferblatts in der Ebene der rechten Säulenwand
           >> Südwand-Zifferblatt (Vormittag)

Der Nodus, für den das Zifferblatt konstruiert war, ist ein Punkt im reflektierenden Streifen auf der rechten Säulenwand (= Spiegelungs/Reflexions-Ebene).


Abb.4  rechts: Begrenzung der Sonnenuhr bis 11h (= SU-Mitte) >> Finden der linken reflektierenden Fläche
           (Nachmittag)
           >> Ergänzung zu Säule mit Dreieck-Querschnitt

Die vom Original übernommene Begrenzung des Vormittagsteils der Sonnenuhr auf 11h ergibt die Mittelebene der Gesamt-Uhr. In ihr liegt die spitze Kante der Säule, deren linke Wand die Spiegelung der rechten Wand in der Mittelebene ist.


Abb.5  rechts: Ergänzung der Sonnenuhr mit symmetrischen Nachmittags-Teil; unten: Ansicht des kompletten
           Zifferblatts

Die Begrenzungslinie unten deutet an, wie weit das Zifferblatt für die Anzeige bei der Sommersonnenwende (SSW) wenigstens reichen muss. Die hier angegebene obere und untere Grenze des Zifferblatts liegen im Original nur knapp günstiger (bestimmt vom Verhältnis zwischen Wandhöhe und Abstand der Säule von der Wand).


Abb.6  Annäherung an Original mit reflektierenden Streifen mit Hilfe von zwei weiteren Nodi
           (noch nicht gespiegeltes Vormittagszifferblatt)
           Anzeige der Lichtstreifen in den Stunden 8 bis 11 an Tag-Nacht-Gleichen und Sonnenwend-Tagen
           links: Hilfskonstruktionen für die Ermittlung der zu den beiden zusätzlichen Nodi gehörenden Stunden-
           (und Deklinations-)Linien

Die die drei Lichtflecke verbindenden Linien (bzw. Lichtstreifen) fallen leicht verdreht auf die vom mittleren Nodus vorgegebenen Stunden-Linien (Anmerkung 4).

3. Eine Schlussfolgerung

Die Sonnenuhr in Heiligenkreuz lässt sich sowohl als näherungsweise richtig funktionierende Polstab- als auch als Nodus-Sonnenuhr mit leicht gestrecktem Nodus ansehen (die Stundenlinien sind für eine Nodus-Sonnenuhr ermittelt).

4. Anmerkungen

Anmerkung 1:
Ein weiterer, nicht realisierbarer Wunsch war, dass durch ein Loch in der Säule eine bestimmte Stelle (Jesuskind) des Bildes an ausschließlich nur einem einzigen bestimmten Tag im Jahr (6. Januar) von der Sonne beleuchtet werden sollte.

Anmerkung 2:
Für das störende Reflex-Licht unterhalb des anzeigenden Lichts ist die glänzende Oberfläche der Wände, die die Bauherrschaft wenigstens bis einige Meter über Boden beibehalten wollte, verantwortlich.

Anmerkung 3:
Den tatsächlichen Wert von etwa -98,0° kannte ich noch nicht, als ich diese Arbeit begann.

Anmerkung 4:
Auf der originalen zylindrischen Wand liegen die Stundenlinien näher beieinander und sind nur näherungsweise Geraden (vom Mosaik teilweise bedeckte Ellipsen-Stücke, die Schnitte zwischen den Stundenebenen und dem Zylinder sind).
Die originalen reflektierenden Streifen sind weniger als halb so lang - somit auch die Lichtstreifen - wie in meiner Nachbildung.

5. Literatur

[1] Hellmuth Stachel: "The Design of the new Sun-Reflections-Dial in Heiligenkreuz/Austria", moNGeometrija,
     Vlasina/Serbia, June 2014

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Siegfried Wetzel, CH 3400 Burgdorf, November 2016

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