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Spurwechselfähige Laufdrehgestelle
für Fahrten sowohl auf Meter- als auch auf Normalgleis

Inhalt

1. Einleitung
2. Umspur- und Lokwechsel-Betrieb in Zweisimmen
    2.1 Fahrtrichtung Interlaken-Montreux
    2.2 Fahrtrichtung Montreux-Interlaken
    2.3 Der Zwischenwagen
    2.4 Vier-Schienen- und Abstell-Gleise
3. Die Technik des Umspurens
    3.1 Die technischen Vorgaben
    3.2 Bei der MOB erfolgte Vorarbeit
    3.3 Drehgestell: Prototyp EV09
    3.4 Drehgestell: Vorserientyp EV18
4. Der lange Weg bis zur Aufnahme des Betriebs nach Fahrplan
5. Informations-Quellen
6. Anmerkungen
7. Anhang
    71. Verriegelbare Verschiebungen der Radträger an der Quertraverse
    72. Verriegelung der Radträger an der Quertraverse gegen Abheben


Abb.1 Golden-Pass-Linie zwischen Montreux und
                Luzern       Prose-Seminar 2011

1. Einleitung

Der nordwestliche Teil der Schweizer Alpen kann schon seit mehr als einem Jahrhundert auf drei aneinander stoßenden Eisenbahnstrecken zwischen dem Genfersee und dem Vierwaldstättersee durchreist werden [1]. Eine durchgehende Fahrt, d.h. ohne Umsteigen war aber bisher wegen der unterschiedlichen Spurweiten der Gleise nicht möglich (Abb.1>).

Die Fahrpläne waren schon immer gut aufeinander abgestimmt, was die drei beteiligten Eisenbahngesellschaften seit Anfang dieses Jahrhunderts in ihrem gemeinsamen Auftritt unter der Bezeichnung Golden-Pass-Linie (GPL) besonders hervorheben und durch die äußere Erscheinung ihrer Züge kenntlich machen [2]. Die GPL führt über drei Pässe bzw. Höhen: Col de Jaman (MOB, etwa 2,5 km langer Scheiteltunnel auf etwa 1100 müM), Bergdorf Saanenmöser (MOB, etwa 1270 müM) und Brünigpass (zb, etwa 1000 müM)

Der von Anfang an bestehende Traum vom umsteigefreien Reisen war natürlich bei diesem Zusammenschluss erneut akut geworden. Der besonders drängende Partner war die MOB (Montreux-Oberland-Bahn-Gesellschaft). Sie veranlasste das Projekt, im Normalgleis der der BLS (Bern-Lötschberg-Simplon- Gesellschaft) gehörenden mittleren Strecke eine dritte Schiene zu verlegen [1]. Die Gesamtstrecke wäre dadurch mit Meter-spurigen Fahrzeugen befahrbar geworden.

Die BLS hat im Unterschied zu den beiden anderen Gesellschaften ein relativ großes Streckennetz. Ihre sich im Namen BLS ausdrückende Hauptstrecke kreuzt in Spiez am Thunersee die Golden-Pass-Linie. Die BLS wollte hier keine dritte Schiene in ihren Hauptgleisen und verlangte, dass die GPL diese unterirdisch kreuzt [1]. Dadurch wäre die relativ einfache Dreischienenlösung zu teuer geworden. Ab 2007/08 wurde der Plan verfolgt, die Meter-spurigen Fahrzeuge in Zweisimmen und in Interlaken während der Fahrt auf Normalspurmaß umzuspuren [1]. Er ist inzwischen (2022) in Zweisimmen verwirklicht worden. Die zb (Zentral-Bahn-Gesellschaft) hat sich bisher nicht beteiligen wollen. Ihre Züge auf der GPL fahren z.T mit Zahnstange-/Zahnrad-Traktion, was den Bau der umspurbaren Drehgestelle auch technisch erschwert. Aber, in die von der MOB beschafften Drehgestelle lassen sich entsprechende Bremseinrichtungen (Bremszahnräder o.ä.) nachträglich einbauen [3].

↑ ↑ Abb.3 Bahnhof Zweisimmen (aus Abb.2 vergrößert)
      links: nördliches Ende; rechts: südliches Ende
      Die dünnen Linien in roten Rahmen stellen die von
      den vier-Schienen-Gleisen abzweigenden, zum jeweiligen
      Abstellgleis führenden Gleise dar.

Abb.2 Bahnhof Zweisimmen, Überblick       Fahrplan SBB

2. Umspur- und Lokwechsel-Betrieb in Zweisimmen

Durch das Umspuren in Zweisimmen kann auf der GPL ohne Umsteigen vorerst zwischen Montreux und Interlaken gefahren werden. Dafür wurden Panoramawagen der MOB mit umspurfähigen Fahrgestellen ausgerüstet und in Zweisimmen zwei automatische Umspuranlagen gebaut. Die umspurbare Zugkomposition hat den Namen GPE (Golden Panaorama-Express bzw. kürzer PE) bekommen. Der bei ihr gebotene Konfort ist nicht eine kürzere Fahrzeit ("express"), sondern dass nicht umgestiegen werden muss.

2.1 Fahrtrichtung Interlaken-Montreux

Ein auf Normalspur aus Interlaken kommender Zug wird von einer nicht umspurbaren Lok der BLS bis zum üblichen Halt am Bahnsteig gezogen (z.B. auf dem rot gezeichneten Gleis und Bahnsteig 7 in Abb.2). Hier kuppelt die Lok samt Zwischenwagen vom Zug ab und fährt durch die Umspuranlage weiter zum regelspurigen Abstellgleis am Südende des Bahnhofs (Abb.3, rechts). Die Umspuranlage erlaubt jedem nicht-umspurbaren Fahrzeug die Durchfahrt. Das nach Montreux führende Metergleis fädelt bald nach der Umspuranlage aus dem ihm übergelegten Normalgleis aus. Vom meterspurigen Abstellgleis am Nordende des Bahnhofs (Abb.3, links) aus kommt eine nicht-umspurbare MOB-Lok und kuppelt an den am Bahnsteig stehenden Zug hinten an. Nach dessem planmäßig 10-minütigen Aufenthalt schiebt die Lok ihn durch die Umspuranlage (die Drehgestelle der Personenwagen werden auf Schmalspur umgespurt; Geschwindigkeit hier etwa 15 km/h) und weiter nach Montreux.

2.2 Fahrtrichtung Montreux-Interlaken

Die Fahrt in umgekehrter Richtung ist entsprechend organisiert. Der aus Montreux kommende Zug wird von einer MOB-Lok gezogen. Sie zieht in durch die Umspuranlage (die Drehgestelle der Personenwagen werden auf Normalspur umgespurt) bis zum üblichen Halt am unmittelbar folgenden Bahnsteig. Dort kuppelt sie ab und fährt weiter zum meterspurigen Abstellgleis am Nordende des Bahnhofs (Abb.3, links). Das zum Abstellgleis führende Metergleis fädelt bald nach dem Ende des Bahnsteigs aus dem ihm übergelegten, nach Interlaken führenden Normalgleis aus. Vom Süden her kommt eine BLS-Lok aus ihrem Abstellgleis (Abb.3, rechts) gefahren. Sie schiebt den Zwischenwagen vor sich her und kuppelt mit diesem an den am Bahnsteig wartenden Zug an. Nach dessem planmäßig 10-minütigen Aufenthalt schiebt ihn die Lok bis nach Interlaken.

2.3 Der Zwischenwagen

Der Zwischenwagen wird nur zwischen Zweisimmen und Interlaken benötigt. Er ist ein auf Normalspur umgebauter MOB-Personenwagen, der nötige Verbindungsaufgaben zwischen der BLS-Lok und der MOB-Komposition erfüllt. Außer zum Überbrücken der verschiedenen Kupplungssysteme zwischen MOB und BLS versorgt er u.a. auch die MOB-Wagen mit Strom [3]. In ihm ist auch reichlich Platz für Reisende, denn die entsprechenden technischen Einrichtungen nehmen nur wenig Raum ein.

2.4 Vier-Schienen- und Abstell-Gleise

Die Loks sind solange abgestellt, bis sie für den nächsten in Gegenrichtung fahrenden GPE gebraucht werden. Ihre Abstellgleise haben Verbindung zu beiden Umspuranlagen und Bahnsteigen (6 und 7). Die Bahnsteige sind großzügig lang. Die an ihnen befindlichen vier-Schienen-Gleise sind nur wenig länger. Nach dem Abzweigen der Abstellgleise laufen sie als 2-Schienengleise weiter.

Abb.4 Die technischen Vorgaben für den
                Umspurprozess      Prose-Seminar 2011

3. Die Technik des Umspurens

3.1 Die technischen Vorgaben

Bei der Lösung der vorliegenden Aufgabe waren zwei Bedingungen (die beiden ersten in Abb.4) besonders zu beachten:
1. Spurweiten-Differenz 435 mm (=1435-1000)
2. Bahnsteighöhen-Differenz 200 mm (=550-350)

zu 1.: Eine ähnlich große Spurweiten-Differenz wurde bisher nur in Japan überwunden: Umspuren zwischen Normal- und Kapp-Spur: 368 mm (=1435-1067) [4]. Es wurden insgesamt drei nacheinander, jeweils auf Grund der Erfahrungen mit dem vorherigen weiterentwickelte Züge gebaut und zwischen 1998 und 2017 erprobt. Danach wurde das Projekt abgebrochen. Die Drehgestelle konnten (nach entsprechendem Umbau auf Spurweiten-Differenz
435 mm) wegen zu hohen Gewichts von der MOB nicht übernommen werden.

zu 2.: Für die beim Umspuren eingeschlossene Anpassung an eine andere Bahnsteighöhe gab es kein Vorbild. Ob die entsprechende Erweiterung an den japanischen Drehgestellen (zu 1.) möglich gewesen wäre, ist nicht bekannt.

Folglich musste eine komplette Neuentwicklung erfolgen. Die MOB schrieb bereits in ihrer ersten einschlägigen Pressemitteilung, dass sie eine Weltneuheit ("revolutioäres Drehgestell" [1]) erschaffen werde.

3.2 Bei der MOB erfolgte Vorarbeit

Abb.6 Entwurf MOB      Prose-Seminar 2011

Abb.5 FIG.1 aus Patent-Anmeldung US8590459B2

Die Vorarbeit bei der MOB führte zur Patent-Anmeldung. In Abb.6 ist das der Abb.5 entsprechende 3-dimensionale CAD-Modell und in Abb.7 ein auch bei MOB entstandenes gegenständliches Modell gezeigt. In Letzterem sind auch die beiden seitlichen Hochfahrrampen und die nach hinten auseinanderführenden, die größere Spurweite erzeugenden zwei U-Schienen zu sehen.

In dieser Draufsicht ist die Dreieck-förmige Gestalt der beiden gegeneinander verschiebbaren Radträger (Nummern 1 u. 2 in Abb.5, rot u. blau in Abb.6) am besten zu erkennen. Sie sind nicht gleich: Die je zur anderen Seite reichenden Arm-Paare kreuzen sich in verschiedener Höhe (rot unten, blau oben). Von den Dreieck-Spitzen aus sind sie mit je einem zylindrischen Schiebelager mit der Basis des anderen Radträger- Dreiecks verbunden. Auf der jeweiligen Dreieck-Basis befindet sich eine nach oben offene Gabel, in denen die Radträger in der Quertraverse (grün in Abb.6), dem Hauptteil des Drehgestells, quer und vertikal beweglich gelagert sind.

Die Spurweite wird, nachdem sie ein-/umgestellt ist, in den zylindrischen Schiebelagern verriegelt (sie sind in den Endlagen blockierbar). Die zwei verschiedenen Höhen der Quertraverse über den Radträgern werden durch verschieden hohe gegenseitige Anschläge, die bei den beiden Spurweiten wirksam sind, realisiert. Das Anschlagen (Aufsetzen der Quertraverse auf die Radträger) wird nach dem Spurwechsel wieder verriegelt (Abhebesicherung).

Abb.7 Entwurf MOB: gegenständliches Modell
      Maßstab 1:10      Beat Feller

Während des Umspurens befinden sich die Quertraverse und der von ihr getragene Teil des Wagenkastens auf den seitlichen Rampen in Hochlage. Die Radträger sind von ihnen entlastet unten geblieben, so dass sie bei der jetzt stattfindenden Umspurung beim Weiterrollen auch seitlich driften können. Sie rollen und driften (die engeren Schienen sind mit einer Lücke unterbrochen) auf den Radkränzen. Nach dem Umspuren senken sich Quertraverse und Wagenkasten bis zum Liegen auf den Radträgern wieder (wenige cm für das Querverriegeln bei Breit-, plus die geforderte Höhendifferenz bei Schmalspur). Die an der Quertraverse angebrachten, ausgeschwenkten und auf den Rampen gleitenden Tragarme (Nr.14 in Abb.5) sind in Abb.7 zu sehen. Nicht zu sehen sind die in die U-förmigen Führungsschienen eingreifenden Bolzen.

3.3 Drehgestell: Prototyp EV09

Abb.8 Drehgestell EV09, aus MOB-Entwurf von Prose weiterentwickelt und von Alstom als Prototyp gefertigt,
           auf Normalspur-Gleis stehend
           Abb.9 Drehgestell EV09 von unten, in Normalspur-Stellung       Prose-Seminar 2011 (beide Bilder)

Die MOB gab der Prose AG in Winterthur/CH im Herbst 2008 den Konstruktionsauftrag für ein mit ihren Wagen auszurüstendes Drehgestell. In einem der Alstom -Werke wurden nach den erarbeiteten Konstruktionsunterlagen Prototypen für einen Versuchswagen gefertigt (Abb.8). Die Tests mit diesem Wagen begannen im Sommer 2010 auf einer Umspuranlage (Prototyp), die die MOB auf dem Gelände ihres Bahnhofs in Montreux errichtet hatte (Abb.11).

Die Konstruktion des Drehgestells war 2009 beendet, weshalb der danach angefertgte Prototyp den Arbeits-Titel EV09 bekam. Er entspricht mehrheitlich dem MOB-Entwurf und hat nur eine deutliche Änderung, nämlich den Ersatz der zur anderen Seite der Radträger reichenden, je zwei Dreieckseiten bildenden Arm-Paare und des an ihrem Zusammenschluß (Dreiecks-Spitze) jeweils einen Schiebegelenks. Der Ersatz besteht aus zwei parallelen Teleskoprohren, wobei in ihnen die verschiebbare Anlenkung an den jeweils anderen Radträger integriert ist (Teleskopgestänge als Schiebegelenk). Durch die Parallel-Dopplung entfiel die gegenseitige Drehfreiheit der beiden Radträger um eine Querachse (Anmerkung 1). In Abb.9 sind die beiden Teleskoprohre und auch, daß die Radträger baugleich geworden sind, zu sehen. Der Abstand zwischen den Rohren beträgt etwa 500 mm (Achsabstand der hintereinander (Tandem) angeordneten Räder: 1500 mm). In Abb.8 (und wieder in Abb.10) ist noch einer der von jedem Ende der Quertraverse aus nach unten gerichteten Führungsbolzen zu erkennen. Diese Bolzen sind fix an den Halbrahmen montiert. Im endgültigen Betrieb war vorgesehen, dass die Führungsschienen in der Anlage nur während des Umspurens angehoben sind, sich sonst unten, d.h.außerhalb des Lichtraumsprofils befinden.

Abb.10 Drehgestell EV09 auf Umspuranlage; oben: Ausleger der Quertraverse mit Rolle (gelb) auf seitlicher Rampe;
              Mitte: Führungsbolzen (gelb) in Führungsschiene (rot) eingefahren u. schon wenig nach außen verschoben;
              3D-Zeichnung       [3] = Eisenbahn-Revue International 08/2011
              Abb.11 Umspuranlage in Montreux (Prototyp), Wagen wird auf Metergleis herangeschoben
                           Anlagenmitte: geknickte Führungsschienen (grau); innerhalb derer: Lücke im Metergleis
                           Prose-Seminar 2011

3.4 Drehgestell: Vorserientyp EV18

Vor der Anwendung des Umspurens auf Normalspur mit entsprechend ausgerüsteten Wagen auf einer Umspuranlage in Zweisimmen wurde die als künftiger Lieferant der Drehgestelle vorgesehene Firma Alstom Zürich/Schweiz mit der Überarbeitung von deren Konstruktion beauftragt. Hauptsächlicher Grund war,
 • dass der Radabstand ("Radrückenabstand") wegen zu geringem Widerstand gegen elastische Verformungen (zu geringe "dynamische Steifigkeit") der Drehgestelle zeitlich nicht genügend konstant war. Zum vorliegenden Zielkonflikt und dem Umgang damit siehe Anmerkung 2.
 • Als weniger diffizile Aufgabe kam hinzu, die zeitweise Paarung Bolzen / U-Schiene (der eigentliche Umspurmechanismus) kinematisch umzukehren: Absenken der Bolzen während des Umspurens, fix montierte U-Schienen.

Abb.12 von Alstom gefertigtes Vorserien-Drehgestell EV18, auf Metergleis stehend    Alstom-Broschüre
              Abb.13 Wagen mit von Alstom gefertigtem Vorserien-Drehgestell EV18, am Ende einer Probefahrt durch
                           eine Umspuranlage in Zweisimmen (umgespurt auf Normalspur)        Simmentalzeitung

Abb.14 Bodenplatte mit Führungsnuten für umspurende Bolzen: Meterspur-Seite.
             Innere Nuten beginnen später als äußere. Seitliche Rampen heruntergeklappt.
              Abb.15 Bodenplatte mit Führungsnuten für umspurende Bolzen: Normalspur-Seite.
                           Äußere Nuten werden später schräg als innere (anfänglich Schienen-parallel).
                           Seitliche Rampen hochgeklappt (Betriebsstellung).

Abb.12 zeigt eine Fotografie des Typs EV18. Die Erhöhung der dynamischen Steifigkeit lässt sich daraus (ebenso wie die nicht ausreichende Steifigkeit aus Abb.8) kaum ablesen, wohl aber eine die Führungsbolzen betreffende Änderung:
 • Diese befinden sich nicht mehr außerhalb der Gleise, sondern innerhalb. Zwei von jetzt vier sind zu sehen: in quadratischen grauen Gehäusen an den Teilen der vorderen Teleskopstange. Die beiden anderen sind an der hinteren Teleskopstange angebracht.
 • Die entsprechend zwischen den Gleisen in einer Bodenplatte angebrachten Nuten sind in den Abb.n 13-15 zu sehen. Es handelt sich um vier Nuten, die von den jetzt vier Bolzen benötigt werden. Die zwei hintereinander angebrachten Bolzen jeder Seite müssen in je einer eigenen, in Fahrtrichung gegeneinander versetzten Nut geführt werden (Anmerkung 3). Andererseits wären am Anfang und am Ende der Umspurfahrt nur die vorderen bzw. hinteren Bolzen im Einsatz, wodurch das Fahrgestell um die vertikale Achse verdreht würde.
Mit vier Bolzen wird gegenüber Typ EV09 zufälliges Verdrehen vermieden.

 ← Abb.16 Bodenplatte mit Führungsnuten und
      Radspuren, unterbrochenes Metergleis

In Abb.16 (Ausschnitt von Abb.15) ist Allgemeingültiges (unabhängig von der Drehgestell-Variante) zu erkennen:
 • Das Metergleis ist unterbrochen. Die Räder rollen und driften beim Umspuren auf den Spurkränzen durch dessen Lücken.
 • Die Räder hinterlassen auf dem Gleisboden deutliche Drift-Spuren. Infolge ihres nacheinander-Laufens (Tandem-Anordnung) entstehen getrennte, untereinander parallele Spuren. Ihr gegenseitiger Abstand ergibt sich aus dem Tandem-Abstand und der Nutschräge. EV18-Spezielles: Die Nuten haben wegen der notwendigen Bolzendicke bzw. des Durchmessers der an ihm angebrachten Führungsrolle größeren parallelen Abstand, weshalb die Bolzen nicht in Fahrtrichtung fluchtend am Drehgestell angebracht werden konnten.



4. Der lange Weg bis zur Aufnahme des Betriebs nach Fahrplan

Nach dem Ende der Versuchsumspurungen und -fahrten 2011 mit einem Wagen mit VE09-Drehgestellen ging man davon aus, 2016 den kommerziellen Betrieb nach Fahrplan aufnehmen zu können [3]. Dass das nicht möglich war, hat ofensichtlich mit zeitaufwändigen behördlichen Genehmigungen und mit der Verzögerung der Finanzierung zu tun. Inzwischen war möglicherweise auch die Erkenntnis gekommen, dass die Konstruktion des Drehgestells und der Umspuranlage noch zu verbessern ist.

Die BLS sanierte und modernisierte von 2015 bis 2017 den Bahnhof Zweisimmen [5]. Dabei wurden schon die für das Spurwechselprojekt vorgesehenen zwei Bahnsteige erhöht und verlängert und die 4-Schienengleise und die Abstellgleise für die Lok samt Weichen verlegt. Eine der beiden vorgesehenen und von der MOB zu bauenden Umspuranlagen wurde aber erst im März 2019 fertig [6]. Alstom hatte den erst Ende 2015 erhaltenen Auftrag für die Nachkonstruktion des Drehgestells erledigt und zwei Drehgestelle für einen Wagen geliefert Dieser wurde Anfang 2019 auf dem Meterspur-Netz der MOB und anschließend in der Umspuranlage erprobt [6]. Eine größere Zahl von Drehgestellen stellte Alstom wegen Verspätung bei zuzuliefernden Teilen vorerst für die zweite Hälfte des Jahres in Aussicht. Schließlich wurden die Zulieferungs-Ausfälle wegen Corona noch größer, so dass der Beginn kommerziellen Fahrens nach Fahrplan von Dezember zu Dezember (Fahrplanwechsel ist immer Anfang Dezember) bis Dezember 2022 immer erneut verschoben werden musste.

Anfang Dezember 2022 wurde der fahrplanmässige Betrieb zwischen Montreux und Interlaken mit einem Zugpaar pro Tag begonnen. Ab Juni 2023 sollen vier Zugpaare pro Tag verkehren. Die für mehrere Zugpaare pro Tag erforderliche zweite Umspuranlage wurde im Herbst 2022 fertig [7].

Zwischen Ende Februar und Sommer 2023 wurde der Verkehr auf der Normalspur-Strecke wegen Verschleiß an den dortigen Weichen eingestellt. Ursache war der gering zu große Radabstand (Spurweite) an den umgespurten Wagen. Nachdem das erkannt und geändert worden war, wurde der Betrieb - jetzt mit vier Zugpaaren pro Tag - wieder aufgenommen.

5. Informations-Quellen

[1]: MOB: Fakten und Daten zum Golden Pass Express, ab Seite 10:
                1916: Zugverbindung seit 2016
                1986: MOB greift einmal mehr den Gedanken einer dritten Schiene auf.
                2008: Durchquerung des Bahnhofs Spiez ohne ein unterirdisches Gleis nicht möglich. Barriere zwischen
                          Normal- und Meterspur dank eines revolutionären Drehgestells mit variabler Spurweite überwinden

[2]: Walter von Adrian: Gemeinsames Design für die Golden-Pass-Route, Schweizer Eisenbahn-Revue, 7/2001
[3]: Gyr, Forclaz, Weiss: Entwicklung des spurwechselfähigen Laufdrehgestells VE09,
                                        Eisenbahn-Revue International, 08/2011
[4]: Wikipedia: Kikan Kahen Densha, ein japanischer "Zug mit wechselbarer Spurbreite"
[5]: BLS: Modernisierung Bahnhof Zweisimmen: Bahnhofumbau ist auf Kurs
[6]: Uwe Heinrich: Entwicklung und Bau der Umspurdrehgestelle für die MOB, Schweizer Eisenbahn-Revue, 6/2020
[7]: SOBdirekt: Projektabschluss Umspuranlage Bahnhof Zweisimmen

6. Anmerkungen

Anmerkung 1:
Die gegenseitige Drehfreiheit wird in der Patentschrift als statischer Vorteil herausgestellt. Auf den Einfluss auf den Gesamtmechanismus (die Radträger sind nicht drehbeweglich mit der Quertraverse verbunden) wird aber nicht eingegangen.

Anmerkung 2:
Bei der Entwicklung des Prototyps EV09 wurde diese Problematik nicht übersehen, d.h. der vorliegende Zielkonflikt (sowohl steif genug gegen nicht erträgliche elastische Verformungen, als auch weich genug, damit alle vier Räder bei untereinander windschiefen Schienen etwa gleich belastet sind) wurde auch bearbeitet. Hinzu kam die strikte Beachtung der Forderung nach möglichst leichten Drehgestellen. Im Vorserientyp konnte ein besserer Kompromiss aufgrund der Erkenntnisse am Typ EV09 gefunden werden. EV18 ist aber auch durch massivere Bauweise besser
- und somit deutlich schwerer als sein Vorgänger - geworden. Wegen des höheren Gewichts erhöhte sich auch die Zahl der Bremsen von zwei auf vier pro Drehgestell.

Anmerkung 3:
Die Anordnung der vier Bolzen erlaubt nicht, die Fahrzeuge um 180° zu wenden. Eine Umspuranlage in Interlaken zur direkten Weiterfahrt auf der Brünigpass-Linie nach Luzern wäre aber eine gegenüber der in Zweisimmen um 180° gewendete bzw. in einer vertikalen Querebene gespiegelte. Die Anordnung der vier Bolzen müsste vor der Weiterfahrt angepasst werden. Ob Platz dafür vorhanden ist, einen zweiten Bolzen-Satz fix einzubauen, konnte ich nicht erkennen.

7. Anhang

Bemerkung:
Die folgenden Bilder beruhen auf Zeichnungen für den Prototyp EV09. Sie gelten prinzipiell auch für EV18.

Abb.17 Verschiebungen der Radträger an der Quertraverse: Dabei gleiten die eine Gabel (Nr.11 in Abb.5) am Rad-                 träger bildenden dkl.roten Klötze auf den paarweise grauen, an der Quertraverse angeschraubten Blechen,
             Verriegelung der Querbewegungen durch Einschieben der Klötze in Nuten (linkes und rechtes Teilbild)
              Prose-Seminar 2011

7.1 Verriegelbare Verschiebungen der Radträger an der Quertraverse

Die Verschiebungen der Radträger an der Quertraverse erfolgen auf je einer U-förmigen Bahn. Die Basis des U ist das Umspurmaß (2 x 217,5 mm). Die Längendifferenz der U-Schenkel ist die Bahnsteighöhen-Differenz (185 mm). Die Länge des kurzen Schenkels ist das Anhebe-Übermaß. Es ist erforderlich, um die Klötze bei Normalspurweite bis unter die entsprechende Verriegelungsnut (deren je eine Seite in Abb.17 schwarz gekreuzt gekennzeichnet ist) zu verschieben. Die Radträger nähern sich danach wieder der Quertraverse, wobei die Verriegelung hergestellt und schließlich der vertikale Anschlag an der Quertraverse erreicht wird. Bei Schmalspurweite befindet sich der Anschlag 185mm höher (Distanz gleich rote Linie). Der nötige Hub für das Verriegeln ist überreichlich vorhanden.

Die dunkelroten Klötze sind erstaunlicherweise nur etwa 100 mm hoch, und die vertikale Führung zwischen Radträgern und Quertraverse ist nur etwa 100 mm lang. Vermutlich ist die Quertraverse genügend verdrehweich um die Wagenquerachse mit dem Wagenkasten gekoppelt, sodass kein Klemmen in dieser vertikalen Führung befürchtet werden muß.

7.2 Verriegelung der Radträger an der Quertraverse gegen Abheben

← Abb.18 Verriegelung der Radträger an der Quertraverse gegen
                   Abheben, Normalspur-Einstellung
                   [3] = Eisenbahn-Revue International 08/2011

Vertikal besteht Formschluß durch Anliegen infolge des Gewichtes der Quertraverse und des Gewichtsanteils des Wagens zwischen Radträgern und Quertraverse. Dass bei Eisenbahnen Abheben stattfindet (Auflösen dieses halben Formschlusses in Gegenrichtung) ist ziemlich unwahrscheinlich. Eine Verriegelung dagegen wird i.d.R. trotzdem angewendet. Im vorliegenden Falle dient dazu ein pneumatisch gedrehter Riegel (magenta-farben in Abb.18). In Abb.17 sichert er (Hebel ist hier grau) die Meterspur-Einstellung und in Abb.18 die Normalspur-Einstellung. In Abb.17 und Abb.18 entsprechen sich ein kleiner roter und ein kleiner schwarzer Kreis (der untere).






LogoSW Siegfried Wetzel, CH 3400 Burgdorf, März 2023 (Okt. 23)

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